Pastor Markus Bauder gehalten am 24.12.2023 in der Hoffnungskirche.
Text/Thema: „O du fröhliche“
Die Predigt hier auf unserem YouTube-Kanal anhören.
Für viele Menschen ist Weihnachten in diesem Jahr ein bisschen schwieriger als sonst. Mich eingeschlossen. Man weiß gar nicht genau, ob man sich darauf wirklich einlassen kann oder soll.
Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Irgendwie scheint in diesem Jahr die Diskrepanz und die Aussichtslosigkeit zwischen der Welt wie sie ist und der Weihnachtsbotschaft, dem Kind in der Krippe noch größer als sonst.
Da ist der Krieg in der Ukraine. Man hat so überhaupt nicht das Gefühl, dass es da eine Einsicht in Richtung Krieg-beenden oder auch nur auf einen Waffenstillstand geben könnte.
In Israel und Gaza, ausgerechnet dort, nimmt der Schrecken für mich überhand. Es scheint überhaupt nichts zu geben, was auch nur ansatzweise als Gute oder auch nur „bessere“ Nachricht gelten könnte. Tod und Elend auf allen Seiten. Und auch hier – keinerlei Einsicht. Zumindest nimmt man wenig davon wahr.
Auf dem Klimagipfel in Dubai konnte man sich ja am Ende nicht mal mehr auf ein Ende der fossilen Brennstoffe verständigen. Es ist so absurd. Die Erde erhitzt sich immer weiter – die Meeresspiegel steigen, die Naturkatastrophen nehmen zu, aber in der Wüste geht man davon aus, dass man das noch lange aussitzen kann.
Und man wünscht sich einerseits einen, der mächtig genug ist, es denen beizubringen. Andererseits ahnt und weiß man: mit Gewalt ändert sich nix.
Über all das dachte ich bei den Vorbereitungen für heute Abend nach als ich über eine Liedzeile stolperte. Wir singen ja auch nachher wieder „O du fröhliche, gnadenbringende Weihnachtszeit“. Wir werden dazu Kerzen anzünden und dann – so ist die Idee – mit dem Licht und der Weihnachtsbotschaft in die dunkle Nacht hinausgehen. Auf dass es in unserer Umgebung etwas heller werde … wenigstens ein bisschen.
Das Lied ist ja fast ein bisschen banal und rührselig. Und man singt so leicht drüber hinweg, dass der zweite Satz in diesem Lied ganz lapidar feststellt: „Welt ging verloren…“ Drei Worte nur. „Welt ging verloren …“
Die Einsicht, die sich daraufhin in mir breit machte, lautete: es war noch nie anders. Das war damals zur Zeit Jesu so, das war durch alle Jahrhunderte so. Ich habe es nur bisher nicht wahrgenommen, weil die Kriege und Katastrophen immer weiter weg waren… Und ich von den Auswirkungen nichts mitbekommen habe.
Die Weihnachtsbotschaft gehört ausdrücklich in eine zerrissene Welt. Gerade dort gehört sie hin und will sie gesagt, gehört und gelebt werden.
Drei Gedanken dazu:
1. Das Lied „O du fröhliche“.
2. Gottes Botschaft für die Welt
3. Was könnte das für dich und mich heute heißen?
1. Das Lied „O du fröhliche“
Es war die Zeit als die Truppen Napoleons Weimar besetzt hatten und zu allem Überfluss auch noch die Pest ausgebrochen war.
Johannes Daniel Falk, der die erste Strophe für eine Weihnachtsfeier im Jahr 1816 gedichtet hat war zunächst ein hoher Beamter im Dienst des preußischen Staates. Er stammte aus ärmlichsten Verhältnissen, bekam aber als Hochbegabter ein Stipendium für die Lateinschule und ein Universitätsstudium bezahlt. Die Stadtväter, die ihm das Stipendium gewährten, schärften ihm ein: „Geh mit Gott! Wir haben dich als Kind mit Liebe gepflegt. Wenn ein armes Kind an deine Tür klopft, vergiss nie, wie arm du selbst warst!“
Allerdings war Falk zunächst nicht sonderlich barmherzig, sondern ein Karrierebeamter. Als dann 1813 die Pest in Weimar wütete, wurden alle seine 6 Kinder krank. Innerhalb weniger Wochen starben vier von ihnen.
Durch den Terror der Franzosen und die Pest irrten Tausende von Waisenkindern unversorgt und hilflos, bettelnd und stehlend durchs Land.
Johannes Falk beginnt die Waisenkinder bei sich aufzunehmen. Er gründet einen Verein „Freunde in der Not“. Er mietet ein leerstehendes Haus und findet bei den Waisenkindern seine Lebensaufgabe. Er setzte, anders als der Staat, der die Kinder einfach einsperrte, auf Erziehung und Bildung. Er begann eine Schule aufzubauen und kümmerte sich um Ausbildungsplätze für Lehrlinge. Am Ende finden über 200 Kinder und Jugendliche gleichzeitig bei ihm ein Zuhause.
Falk sagte, dass „die Kinder von Räubern und Mördern bei ihm Psalmen singen und beten“. „Knaben fertigen Schlösser aus dem Eisen, das für ihre Füße und Hände bestimmt war“.
Aber das Leid hing weiter über der Familie. Auch die anderen beiden Kinder, die die Pest überlebt hatten, starben.
Höhepunkt eines jeden Jahres war der Weihnachtsabend. An der riesigen Tafel warteten viele Geschenke, wobei Falk großen Wert darauf legt, dass nicht nur reiche Bürger die Kinder beschenkten, sondern dass sich die Kinder auch gegenseitig beschenkten.
An Weihnachten 1816 war Johannes Falk selbst krank. Für das Festlied hatte er nur eine Strophe gedichtet. Es hieß: „O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue, freue dich, o Christenheit“.
Hinrich Wichern, der Begründer des Rauhen Hauses in Hamburg, hat, neben vielen anderen Anregungen von Johannes Falk auch dieses Lied übernommen. Später hat ein Heinrich Holzschuher, der früher bei Johannes Falk in Weimar gearbeitet hatte und dann als Fürsorger in Gefängnissen und Erziehungsheimen wirkte, die beiden weiteren Strophen gedichtet.
Johannes Falk starb 1826 im Alter von 57 Jahren an einer Blutvergiftung und ist in Weimar auf dem Alten Friedhof beerdigt.
Seit ich das alles weiß, klingt das Lied bei mir anders. Für Johannes Falk ist klar, dass die Welt da draußen so ist wie sie ist. Verloren. Dunkel. Menschen sind ohne Hoffnung. Aber dieses Lied, die Menschen, die dieses Lied singen, die bringen etwas in die Welt, das dringend benötigt wird: Licht, Hoffnung, Energie, Freude, Glauben. Wenn Ihr nachher dieses Lied singt, werdet Ihr zu Boten einer neuen Welt. Einer neuen Hoffnung. Christus ist geboren.
Und das ist mein 2. Punkt: Die Weihnachtsbotschaft. Es geht tatsächlich um Frieden. Frieden für die Welt. Walter Klaiber hat in der aktuellen Ausgabe von unterwegs dazu einen hervorragenden Artikel geschrieben. Frieden in einem umfassenden Sinn. Ja, da müssen die Waffen schweigen und dafür braucht es unter Umständen erstmal auch Waffen. Aber dieser Friede, um den es da geht, ist viel, viel mehr. Umfassend. Und es ist kein Diktat-Friede. Er wird verheißen, oder verkündet, oder gestiftet. Schalom, ein umfassendes Wohlergehen in heilvoller Geborgenheit und Gemeinschaft. Ohne Gerechtigkeit nicht denkbar. Natürlich sind wir letztlich überfordert, wenn wir das selbst herstellen wollen oder sollen. Der Friede wird verkündet, nicht gefordert. Aber er bricht auch nicht einfach über uns herein. „So gewiss er eine Gabe Gottes ist, so gewiss ist er auch eine Aufgabe der Menschen“ schreibt Walter Klaiber.
Verkünden und sich dafür einsetzen.
Das Kind in der Krippe ist dafür das beste Bild. Gabe und Aufgabe. Verheißung und Verantwortung.
Das Christuskind steht auch dafür, dass in der Krippe noch alle Möglichkeiten offen sind. Verheißung, noch keine Gewissheit.
In einem Beitrag von Anne Lemhöfer im Kalender „der andere Advent“ heißt es: „Liegt da in der Krippe ein künftiger Heiland, eine künftige Heilandin? Oder wenigstens die Hoffnung für den deutschen Fußball? Einfach ein netter Mensch, der seinen Freund:innen durch tiefe Krisen hilft. Oder ein Bösewicht. Nichts ist sicher.
Im Fall des Christuskindes bin ich sicher: der Erlöser der Welt. Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue dich, o Christenheit! Die Gabe Gottes.
Bleibt die Aufgabe. Mein kurzer dritter Punkt:
Meine erste Aufgabe ist: innehalten und einen Schritt zurückmachen. Sich besinnen. Be-sinnen. Seinen eigenen Sinn finden. Zu sich selbst finden und herausfinden: wo stehe ich eigentlich?
Christ ist geboren: Freue dich, o Markus! Angelika! Günther! Ulrike! Andreas! Susanne!
Und wenn du merkst, dass das etwas in dir auslöst, vielleicht etwas von der Freude, die hier verpackt ist, in dir zu blubbern beginnt, dann bist du berufen, das nicht nur für dich selbst leuchten zu lassen, sondern auch ein bisschen davon weiterzugeben. Heute Abend noch denen gegenüber, mit denen Du feierst. Oder die du in den nächsten Tagen triffst.
Vielleicht reicht es auch schon, in den Spiegel zu schauen und mal zu gucken, ob man die Weihnachtsbotschaft im eigenen Gesicht erkennen kann. Und daran ein bisschen zu üben. Ich sag das nicht ironisch oder zynisch – bei sich selbst beginnen, ist nicht nur ein guter Weg, sondern der einzige.
Wer will kann dann noch überlegen, was sein Beitrag sein kann, dass in einer verlorenen Welt, das Licht dieser Botschaft vielleicht doch etwas weiterträgt. Die einen engagieren sich wie Johannes Falk für Kinder und Jugendliche, andere für Geflüchtete. Oder ihre pflegebedürftigen Eltern. Oder versucht es einfach damit, dass ihr die Leute, denen ihr in der U-Bahn gegenübersitzt, grüßt.
Oder einfach mal eine Zeitlang aufhören zu meckern oder kritisieren. Einfach mal nicht die Lücken sehen, die Unzulänglichkeiten oder das Fehlende. Sondern Komplimente machen und loben. Wertschätzen. Ihr werdet sehen, das macht die Welt sofort um Welten heller. Und besser. Und die Unzulänglichkeiten werden kleiner und weniger. Weil man weniger auf sie achtet. Und weil Lob immer viel mehr anspornt als Kritik.
Ihr denkt vielleicht, dass all diese Kleinigkeiten nicht viel mit der Weihnachtsbotschaft zu tun haben. Ich sehe das anders. Ihr zeigt dadurch, dass der Heiland der Welt in euch zu leben begonnen hat. Der Glanz des Neugeborenen, der ja seine ganze Umgebung nett macht und ein bisschen glänzend und freudig und fröhlich und liebevoll und freundlich, dass dieser Glanz auf euch abgefärbt hat und eure Umgebung etwas davon abbekommt.
Welt ging verloren.
Christ ist geboren.
Freue dich!!
Ich wünsche euch eine Gnaden bringende Weihnachtszeit! Amen