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Predigt: “Bittet, so wird …” (Lk 11,9-12)

Text/Thema: Lukas 11,9-12

Gehalten (Datum/Ort): 22.05.22 S-HK (Livestream); 29.5.22 S-FK;

Lukas 11,9-12

Ich sage euch: Bittet und es wird euch gegeben! Sucht und ihr werdet finden! Klopft an und es wird euch aufgemacht! Denn wer bittet, der bekommt. Und wer sucht, der findet. Und wer anklopft, dem wird aufgemacht. Welcher Vater unter euch gibt seinem Kind eine Schlange, wenn es um einen Fisch bittet? Oder einen Skorpion, wenn es um ein Ei bittet? Ihr Menschen seid böse. Trotzdem wisst ihr, was euren Kindern guttut, und gebt es ihnen.

Ich liebe Geschichten. So Weisheitsgeschichten. Die einen ins Nachdenken führen. Oder Schmunzeln. Weil sie Wahrheiten über unser Leben erzählen. Eine meiner Lieblingsgeschichten habe ich bei Paul Watzlawick gelesen, einem Psychologen, Kommunikationswissenschaftler und Familientherapeuten. Er hat diese Geschichte in seinem berühmt gewordenen Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ veröffentlicht. Sie geht so:

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, aber den Hammer nicht. Er weiß, der Nachbar hat einen Hammer. Also beschließt er, zu ihm hinüberzugehen und ihn auszuleihen. Aber da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt und er hat etwas gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“

Was denken wir nicht alles über unsere Mitmenschen? Und vor allem, wie viel Schlechtes denken wir übereinander. Tendenziell eher Schlechtes als Gutes. Wir rechnen eher mit dem Negativen als mit dem Positiven. Selbst bei unseren Ehepartnern oder Kindern.

Und wir glauben tatsächlich oft, wir wüssten, was ein anderer wirklich denkt und warum er oder sie so handelt, wie er oder sie handelt. Die Wahrheit ist: Wir wissen es nicht. Oder nur ganz, ganz selten. Fast immer wissen wir es nicht. Überhaupt nicht. Und je weiter eine Person von uns weg ist, desto weniger wissen wir wirklich über ihre Motive.

Und je mehr Nachrichten wir lesen und je mehr Informationen wir über andere bekommen, desto mehr müssen wir uns das bewusst machen. Warum Menschen so handeln wie sie handeln, wissen wir in der Regel nicht.

Diese Geschichte zeigt uns, wie wichtig es ist, Bitten und Bedürfnisse auszusprechen, statt uns selbst hin- und her zu überlegen, was aus unserer Bitte werden könnte. Ich brauche einen Hammer: „Könnten Sie mir bitte einen Hammer leihen?“

Selbst Jesus fragt manchmal Menschen „Was willst du, dass ich dir tun soll?“ – Und das, obwohl man doch sehen kann, dass ein Mensch krank ist. Und doch eigentlich klar ist, was dieser Mensch will. Oder etwas nicht?

Das gilt nicht nur unter Menschen, die sich nicht so gut kennen. Das gilt gerade und vor allem auch unter Menschen, die sich gut kennen. Ja, die sich sogar lieben. Da täuschen wir uns am allermeisten. Diese negative Gedankenspirale spielt sich auch in der Ehe, in der Familie ab. Unter Menschen, die sich gut zu kennen meinen. Das, was man meint und möchte tatsächlich aussprechen – eines der ganz großen Themen in der Paartherapie. Was brauchst du? Was ist deine Not?

„Bittet! Suchet! Klopft an!“

Dabei geht es nicht darum, möglichst viel zu bekommen.

Es geht darum, dass Bitten und Bedürfnisse ausgesprochen werden müssen. Auch Gott, auch Jesus gegenüber. Und dass wir in Beziehungen auf Bedürfnisse und Bitten vor allem dann eingehen können, wenn sie bekannt und ausgesprochen sind.

Ganz interessant ist, dass die meisten Menschen das eigentlich als eine Notlösung betrachten. Um etwas bitten, ist schlecht. Auf andere angewiesen sein, ist schlecht. Gut ist, wenn man‘s selber macht. Und schafft. Fragen Sie alte Menschen, fragen Sie Menschen, die im Rollstuhl sitzen: Angewiesen-sein auf andere ist schlecht. Wer bittet, ist in der schwächeren Position. Und wer ist das schon gerne?

„Wie geht es Dir?“, frage ich einen alten Bruder. Er antwortet: „Ich kann mich noch selber versorgen“. Niemanden brauchen ist ein wichtiger Wert in unserem Leben.

Man sagt, dass sich damit vor allem Männer schwertun. Mit dem Bitten. Was tut ein Mann nicht alles, bevor er jemanden nach dem Weg fragt. Lieber kaufe ich eine Karte oder such den Weg erstmal selbst.

Viele Männer haben eine große Werkstatt im Keller. Tolle Maschinen. Einen anderen um einen Hammer bitten? Niemals. Ich hab selbst 5 verschiedene… Lieber kaufe ich eine Maschine als dass ich jemanden frage.

Aber vielleicht nicht nur ein Männer-Ding…

Wer bittet ist in der schwächeren Position. Ist angewiesen auf jemand. Braucht Unterstützung. Das wollen wir eher nicht.

Aber ich glaube, dass es ein echter Lebensmehrwert ist, andere und Gott um etwas zu bitten. Und so aufeinander angewiesen zu sein. Ich glaube, dieses Angewiesensein auf andere macht unser Leben reicher. Bunter, vielfältiger, gemeinschaftlicher.

Bitten, Anklopfen, Suchen stärkt und stiftet Beziehung. Mein Vater hat mal gesagt: „Unsere Beziehungen zu unseren Nachbarn sind dort gut geworden, wo wir angefangen haben, sie um etwas zu bitten.“

Warum sollen wir beten? Warum sollen wir Gott um etwas bitten?

1. Weil unsere Beziehung zu Gott besser wird, wenn wir nicht aus der höheren Position kommen. Weil diese Form von Demut die Gemeinschaft zwischen Gott und uns stärkt. Weil auf diese Weise unser Leben einen Mehrwert bekommt, den es ohne bitten nicht hätte. Weil bitten, aufeinander angewiesen sein oder in der schwächeren Position sein, nicht wirklich etwas Schlechtes ist, sondern etwas zutiefst Wichtiges und Wertvolles. Es stiftet Gemeinschaft und macht uns bewusst, dass wir letztlich, letzten Endes, auf einer Stufe stehen. Mit allen Menschen.

Der Versuch, eigenständig zu sein, auf niemanden angewiesen zu sein, alles selbst zu haben oder selber zu können, macht uns einsamer. Das fördert unser Glück nicht, sondern schmälert es. Reiche Menschen, die alles haben, schotten sich oft ab von den anderen. Da wähnt man sich auf der Seite des Glücks, ist aber ärmer als arme Menschen. Oder solche, die bitten können und zeigen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Die offen füreinander sind. Auch für ihr Angewiesensein.

2. Um etwas zu bitten schärft unser Bewusstsein dafür, was wir wirklich brauchen. „Ich brauche einen Hammer“. Nicht Werkzeug. Ich will einen Nagel in die Wand bekommen. Für dieses Bild. Dafür brauche ich einen Hammer. Bitten schärft unser Bewusstsein für das, was wir brauchen.

Deshalb fragt Jesus: Was willst du, dass ich dir tun soll? Und es ist viel besser, Gott konkret um etwas zu bitten als beispielsweise um Frieden für die Welt oder Gesundheit für alle Menschen. Nein, der Krieg in der Ukraine macht uns fertig. Die Bilder quälen uns. Wir sind fassungslos über skrupellose, machtgierige Menschen – Da werden unsere Bitten konkret. Und wir merken, wie machtlos wir sind. Wie schwach.

Wir leiden darunter, dass ein lieber Mensch krank ist. Und wir wenig Kraft haben, ihn zu unterstützen. Oder wir den Schmerz fürchten, jemanden zu verlieren. Und wir wirklich wollen, dass ein anderer gesund wird, wieder am Leben teilnehmen kann, fröhlich werden kann. Und spüren natürlich dann auch unsere Ohnmacht und Schwachheit.

Aber es schärft unser Bewusstsein dafür, was wir wirklich brauchen. Und wo unsere Not tatsächlich ist. Und wie dringend wir Gott brauchen.

Deshalb raten uns Familientherapeuten dazu, in unseren Ehen, auch bei schwierigen oder peinlichen Themen – z.B. im Bereich unserer Sexualität – konkret zu werden und zu sagen, was wir wollen. Natürlich sind wir dann in einer schwächeren Position. Aber wir öffnen uns für unser Bedürfnis. Für unsere Not. Für das, was wir denken, dass wir brauchen.

Und kommen so auch zur Wahrheit. Zu uns selbst. Wir zeigen so, was uns wichtig ist, was uns unter den Nägeln brennt und wir es nicht alleine hinkriegen. Gott gegenüber. Aber auch vor uns selbst. Wir schaffen es nicht alleine. Das ist ein Eingeständnis der Schwäche, führt uns aber gleichzeitig zur Wahrheit und zu uns selbst – und es stärkt unsere Beziehung zu Gott. Das stärkt die Gemeinschaft mit ihm. Und mit anderen.

Eine starke Gemeinschaft ist besser als wenn jede und jeder alleine vor sich hin wurstelt. Als wenn jeder hinter seiner eigenen Hecke sein eigenes Ding macht. Und alles selber hat und niemanden braucht.

Gesellschaftlich haben wir hier schon dazugelernt. Carsharing, Werzeugsharing, Bikesharing, Haus- und Wohnsharing – Gemeinschaftskonzepte sind im Kommen. Zunehmend kapieren wir auch gesellschaftlich, dass Dinge gemeinsam zu nutzen besser ist als wenn alle alles nur für sich besitzen.

Wenn sich das fortsetzt und wir auch Nöte gemeinsam teilen, Bedürfnisse, dann stärkt das eine Gesellschaft, eine Gemeinschaft. Alle sind aufeinander angewiesen. Die Starken und die Schwachen, Männer und Frauen, Alte und Junge, egal mit welcher Migrationsgeschichte, oder ob überhaupt einer. Angewiesen sein ist nichts Schwaches oder Schlechtes. Es ist stark und ein echter Mehrwert für unser Leben.

Es stimmt übrigens nicht, dass andersherum Gott uns nie um etwas bittet. Dass wir also ihm gegenüber immer in der schwächeren Position sind. Gott bittet uns, seine Erde zu bewahren, seine Menschen zu lieben, möglichst so zu leben, dass alle zurechtkommen. Er kann das nicht selber tun. Er ist auf uns angewiesen…

Diese Gedanken stärken unsere Beziehung zueinander. Wir tun etwas für Gott. Gott tut etwas für uns. Wir sind aufeinander angewiesen.

Dabei gibt es trotzdem keinen Automatismus. Der andere ist frei. Und hat heutzutage unter Umständen sogar das Nein-Sagen gelernt. Kann mit seiner Zeit verantwortlich umgehen. „Ich kann jetzt nicht.“ „Später.“ „Bitte frage jemand anderen.“ „Nein, das möchte ich nicht“. Oder eben auch: „Gerne, ich komme sofort.“ „Gerne kannst Du von mir das bekommen, was Du brauchst.“

Bitten, die ausgesprochen werden, können erfüllt werden, müssen es aber nicht. Bitten, die nicht ausgesprochen werden, bleiben in der Regel unerfüllt.

Aufeinander angewiesen sein ist gut, einander brauchen ist gut, Bedürfnisse zu mitzuteilen und zu teilen ist gut. Stärkt das Miteinander und die Gemeinschaft. Zwischen Gott und uns. Zwischen uns Menschen. Wir sind nicht alleine. Ein echter Lebensmehrwert. Ein Glücksverstärker, der uns zu Menschen macht, die nicht gegen andere leben, auch nicht unverbunden nebeneinander her leben, sondern miteinander unterwegs sind. Und das ist es, wozu Gott uns geschaffen hat: fürs Miteinander. Hier fangen wir an, unsere Bestimmung zu leben, ein Leben, das reich ist und erfüllt, weil wir es miteinander leben.

Und – Bitten, die ausgesprochen werden, können wirklich auch erfüllt werden.

Braucht es eigentlich noch mehr Gründe zum Beten? Zum Bitten?