Pastor Markus Bauder gehalten am 19.11.2023 in der Hoffnungskirche.
Text/Thema: „… das habt ihr mir getan“ Mt 25,31-40
Die Predigt hier auf unserem YouTube-Kanal anhören.
»Der Menschensohn wird wiederkommen in seiner Herrlichkeit mit allen Engeln. Dann wird er sich auf seinen Herrscherthron setzen. Alle Völker werden vor dem Menschensohn versammelt. Er wird sie in zwei Gruppen aufteilen – wie ein Hirte, der die jungen Ziegenböcke von der Herde trennt. Die Herde wird er rechts von sich aufstellen und die jungen Ziegenböcke links. Dann wird der König zu denen rechts von sich sagen: ›Kommt her! Euch hat mein Vater gesegnet! Nehmt das Reich in Besitz, das Gott seit der Erschaffung der Welt für euch vorbereitet hat. Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war durstig, und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich war ein Fremder, und ihr habt mich als Gast aufgenommen. Ich war nackt, und ihr habt mir Kleider gegeben. Ich war krank, und ihr habt euch um mich gekümmert. Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.‹
Dann werden die Gerechten fragen: ›Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben? Oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann warst du ein Fremder und wir haben dich als Gast aufgenommen? Wann warst du nackt und wir haben dir Kleider gegeben? Wann warst du krank oder im Gefängnis und wir haben dich besucht?‹ Und der König wird ihnen antworten: ›Amen, das sage ich euch: Was ihr für einen meiner Brüder oder eine meiner Schwestern getan habt – und wenn sie noch so unbedeutend sind –, das habt ihr mir getan.‹
Vielleicht ist es nur ein Eindruck, oder eine Idee, die mir da letzte Woche gekommen ist. Ich frag mich ja seit Jahren und in den letzten Wochen mehr denn je, wie Menschen das, was da gerade so geschieht, tun können? Wie kann es sein, dass Menschen, die normalerweise relativ friedlich sind, Hasskommentare schreiben und eine Sprache und Verhaltensweisen an den Tag legen, dass einem graust. Dass sie keinen Respekt und Skrupel mehr kennen. Zunehmend sogar im echten Leben. Und zunehmend sogar gewalttätig. Und sogar Menschen gegenüber, die helfen wollen, wie Feuerwehr oder Sanitäter.
Wie kommt es, dass Menschen zu solch grausamen Gewalttaten fähig sind wie man sie von dem Terror-Überfall in Israel gehört hat oder auch vorher in der Ukraine oder – manch Ältere unter uns erinnern sich noch – in Ruanda, oder Deutschland…
Letzte Woche hat mich der Gedanke nicht mehr losgelassen, dass es auch daran liegen könnte, dass Menschen zunehmend und mehr denn je denken, dass sie für das, was sie tun, nicht verantwortlich sind. Das, was ich tue, das bin nicht ich. Dafür bin ich auch nicht verantwortlich. Ich bin letztlich nicht Täter. Ich bin Opfer. Ich kann nichts dafür, es waren die anderen. Wer auch immer. Ich bin halt so geworden. Die Eltern. Das Umfeld. Der Staat. Die Politik. Der Krieg. Der Gruppenzwang. Der Alkohol. Jeder macht uns glauben, dass auch dann, wenn er die schlimmsten Dinge tut, er im Grunde ein Opfer ist. Und im Grunde nicht verantwortlich.
Keine Ahnung, ob das tatsächlich so stimmt, aber als ich unseren Predigttext gelesen habe, habe ich diesen Gedanken sofort wiederentdeckt.
Da sind also Menschen, denen nicht bewusst ist, dass man für das, was man tut oder nicht tut, verantwortlich ist. Dass man die Folgen tragen muss. Und nicht nur im negativen. Sogar im positiven. Die hatten auch keine Ahnung. Und im Gleichnis wird ihnen recht unverblümt gesagt, dass das nicht so ist. Selbst wenn es in der Welt nicht so sein würde, bei Gott ist es auf jeden Fall so. Gott entbindet uns nicht davon, dass wir für unser Leben verantwortlich sind. Für alles, was wir tun. Und für alles, was wir nicht tun. Und dass es dafür keine Entschuldigung gibt. Keine „Ent-schuldigung“ im Sinne dieses Wortes: wir können uns nicht ent-schuldigen. Von der Schuld freisprechen. Und Gott tut es auch nicht.
Das Gleichnis, das Jesus erzählt, soll den Menschen unmissverständlich klar machen, dass die Erkenntnis des Guten und Bösen – von dessen Baum die ersten Menschen ja die Früchte gegessen haben, Konsequenzen hat.
Meine Katze kann ich nicht dafür verantwortlich machen, dass sie Mäuse frisst und unter Umständen vorher noch ein grausames Spiel mit ihnen treibt. Wir Menschen wissen, was wir tun, und sind deshalb verantwortlich.
Und davor die Augen zu verschließen ist keine gute Idee.
Das, was wir tun, so wie wir leben, das hat Konsequenzen. Konsequenzen, mit denen wir irgendwann zu tun bekommen. Sei es hier auf der Erde. Oder spätestens, wenn wir Gott oder Jesus gegenüberstehen.
Daran will uns dieses Gleichnis erinnern, indem es ein beinahe unglaubliches Bild verwendet.
Das, was ihr getan oder nicht getan habt, habt ihr mir getan oder nicht getan, sagt Gott. Gott ist das Gegenüber. Vor allem in den Ärmsten, den Geringsten, den Opfern dieser Welt.
Gott ist von den Hamas-Terroristen bei dem Terroranschlag am 7.Oktober auf tausendfache Weise grausam ermordet worden. Gott flieht tausendfach von Nordgaza in den Süden und ist auf Hilfslieferungen der UN angewiesen. Gott ist genauso palästinensisches Opfer wie israelisches.
Aber wir brauchen nicht so weit gehen: Gott ist der Mensch, der vor dem Aldi oder EDEKA die Straßenzeitung verkauft. Gott ist die Frau, die da sitzt und bettelt. Gott sitzt am Ende einer Mailadresse oder eines Instagrammaccounts und wird von anderen gedisst und gemobbt. Gott sind die vielen Menschen, die auf der Suche nach einer Lebensperspektive auf der Flucht sind und auf ihrer Flucht unter Umständen auch nach Stuttgart kommen.
Gott ist derjenige, der von uns am liebsten nicht reingelassen wird oder den wir möglichst schnell gerne wieder loswerden würden.
Gott hebt in diesem Gleichnis die Ärmsten auf die Stufe von Schwestern und Brüdern Gottes, ja Gott selbst. ——————-
Und dabei ist ja wirklich ärgerlich, dass es in dem ganzen Text so gar nicht auf meine Überzeugung, auf meinen Glauben ankommt. In dem ganzen Abschnitt ist von einem religiösen Leben nicht die Rede.
Will heißen, wenn es um den Himmel geht, hilft uns das überhaupt nicht.
Wenn man mal einen kleinen Schritt zurück macht und überlegt, wird man wohl einsehen, dass es ja in Wirklichkeit nur so gehen kann:
Es kann im Glauben und Gott gegenüber überhaupt nicht darum gehen, wie fromm ich mich gebe, wie oft ich in der Bibel lese, bete oder in die Kirche gehe. Es kann letztlich nur darum gehen, was sich daraus für ein Leben ergibt. Es kommt darauf an, was und wie wir leben. Und ob wir da den Maßstäben Gottes entsprechen oder nicht. Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. In diesem Gebot sind die Propheten und alle Gebote zusammengefasst.
Oder: In den Himmel kommen nicht diejenigen, die möglichst oft „Herr, Herr“ rufen oder „Allah ist der Größte“, sondern wer den Willen meines Vaters im Himmel tut.
Und mich ist klar, dass Gott will, dass allen Menschen geholfen wird und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Und dass wir die Werke der Barmherzigkeit tun sollen: Hungernde speisen, Durstigen zu trinken geben, Gefangene besuchen, Armen und Kranken helfen, usw. usw.
Was könnte es auch anders sein? Es kann kein anderes Kriterium für den Himmel geben. Warum soll auch jemand, der nicht Gott wohlgefällig lebt, einen Platz in Gottes Himmel bekommen? Macht ja gar keinen Sinn… ————————–
Ich empfinde dieses Gleichnis schon immer als großes Ärgernis. Weil es richtig ist. Und wahr. Zu Zeiten Jesu war es wahr und heute ist es immer noch wahr.
Und mal ehrlich, mit welchem Recht könnten wir einen Platz in Gottes Himmel einfordern? Oder annehmen, dass wir ihn verdienen.
Im Himmel wird es einmal mindestens 3 Überraschungen geben: wer alles da ist. Wer alles nicht da ist. Und dass man möglicherweise selbst da ist.
Manchmal denke ist, dass wir uns ganz schön eingerichtet haben. Wir sind ja gerettet durch Christus. So als ob wir dadurch den Folgen unseres Tuns enthoben sind. Gott vergibt uns. Hat er schließlich versprochen.
Ihr kennt die Geschichte wahrscheinlich: Die Hölle war total überfüllt. Und noch immer stand eine lange Schlange am Eingang. – Schließlich musste sich der Teufel selbst herausbegeben, um die Leute fortzuschicken: „Es ist nur noch ein einziger Platz frei“, sagte er. „Den muss der ärgste Sünder bekommen. Sind vielleicht ein paar Mörder da?“
Er forschte unter den Anstehenden und hörte sich deren Verfehlungen an. Was immer sie auch erzählten, nichts schien ihm schrecklich genug. Wieder und wieder blickte er die Schlange entlang. Schließlich sah er einen, den er noch nicht befragt hatte.
„Was ist eigentlich mit Ihnen, dem Herrn, der da für sich allein steht? Was haben sie getan?“
„Nichts“ sagte der Mann, den er so angesprochen hatte. „Ich bin nur aus Versehen hier. Ich habe geglaubt, die Leute ständen hier um Zigaretten an.“
„Aber Sie müssen doch etwas getan haben“, sagte der Teufel. „Jeder Mensch stellt etwas an.“
„Ich sah es wohl“, sagte der Mensch, „aber ich hielt mich davon fern. Ich sah, wie Menschen ihre Mitmenschen verfolgten, aber ich beteiligte mich niemals daran. Sie haben Kinder hungern lassen und in die Sklaverei verkauft. Sie haben auf den Schwachen herumgetrampelt und die Armen zertreten. Überall um mich herum haben Menschen von Übeltaten jeder Art profitiert. Ich allein widerstand der Versuchung und tat nichts.“
„Absolut nichts?“ fragte der Teufel ungläubig. „Sind Sie sich völlig sicher, dass Sie da alles mitangesehen haben?“ „Vor meiner eigenen Tür“, sagte der gute Mensch. „Und nichts haben Sie getan?“ wiederholte der Teufel. – „Nein!“
„Komm herein, mein Sohn, der Platz gehört dir!“ Und als er den „guten Menschen“ einließ, drückte sich der Teufel zur Seite, um mit ihm nicht in Berührung zu kommen. ———-
Ich nehme aus dem Gleichnis und dem, was mir dazu so eingefallen ist, heute folgende Aspekte mit:
1. Es ist wichtig, dass wir uns einsetzen, dass wir etwas tun. Dass Nächstenliebe in unserem Leben konkret wird. Sei es in unserer direkten Umgebung. Sei es in dem, wo wir andere unterstützen, die etwas tun. Sei es, dass wir selbst aktiv sind und versuchen, nach unseren Möglichkeiten und Kräften an einem „guten“ Leben mitzuwirken. „Gut“ meint dabei nicht in erster Linie gut für uns, sondern gut für andere. Gut für die Welt. Gut im Sinne Gottes. Und „gut“ nicht nur in einem theoretischen Sinn, sondern so, dass das die Menschen, die es betrifft, auch als gut erleben. Gut im Sinne von heilend, hilfreich, dem Leben, dem Glück dienend.
2. Mein religiöses Leben hilft mir nur dann wirklich, wenn es mir hilft, ein guter, ein besserer Mensch zu sein oder zu werden. Glaube, Erkenntnis oder Bibellektüre, Gottesdienstbesuche, Lobliedersingen, Gebetskreise, Bibelstunden, Stille Zeiten, Klosterbesuche, usw. die nicht ins praktische Leben führen und uns zu besseren Menschen machen, tun uns zwar vielleicht gut und gefallen uns, bringen uns dem Himmel aber nicht näher.
Nicht falsch verstehen: ein religiöses Leben hilft auf jeden Fall dabei, ein guter, ein besserer Mensch zu sein oder zu werden. Aber es ist nicht der Maßstab, an dem ich erkenne, dass ich ein gutes Leben führe. Das erkenne ich erst daran, ob denn mein Leben den Menschen tatsächlich hilft. Der Schöpfung hilft. Ob sich aus meinem religiösen Leben ein Leben ergibt, in dem Nächstenliebe entdeckt werden kann. Im 1. Johannesbrief steht es so: Du kannst nicht Gott lieben und deinen Bruder hassen. Wer seinen Bruder liebt, der ist im Licht…. Die Nächstenliebe ist das Ziel. In einem umfassenden Sinn.
3. Wir, ich werde diesen Ansprüchen niemals genügen können. Wir bleiben immer und ständig etwas schuldig. Es gibt kein vollkommenes Leben. Höchstens Annäherungen. Das Gesetz spricht uns schuldig. Und zwar wirklich. So meint es Paulus. Und so muss man es auch verstehen, wenn Martin Luther sagte, dass wir tapfer sündigen sollen. Uns bleibt gar nichts anders übrig. Man könnte es auch so formulieren: Wir haben vom Baum der Erkenntnis des Guten und Böse gegessen. Wir wissen es also. Und deshalb ist auch klar, dass man uns dafür verantwortlich machen kann. Und wir genügen nicht. Niemand ist gerecht. Auch nicht einer. Nicht mutwillig, eher in der demütigen Erkenntnis, es geht gar nicht anders. Wir sind auch in unserem reinsten Bemühen der Unvollkommenheit, der Schuld unterworfen.
4. Eigentlich konterkariere ich meine Predigt, wenn ich jetzt am Ende doch noch von der Gnade rede. Aber Gott macht es auch so. Und Paulus. Ja, letztlich die ganze Bibel. Dass Gott uns letztlich doch leben lässt. Und den Himmel öffnet. Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Haben sie dich nicht verurteilt? Dann verurteile ich dich auch nicht. Sagt Jesus zu der Frau, die die frommen Leute steinigen wollen.
Wir machen uns an den Maßstäben Gottes schuldig. Ständig. Und das dürfen wir niemals auf die leichte Schulter nehmen. Denn Schuld ist Schuld. Böses ist Böses. Und wo große Schuld ist, sind die Folgen schwer und die Menschen werden lange daran zu tragen haben.
Eine Zukunft, einen offenen Himmel gibt es trotzdem, weil wir von einem gnädigen Gott reden dürfen.
Von einem Gott, von dem es heißt, dass er die Schuld auf sich nimmt. Wie auch immer das geht.
Stellt euch das mal vor und denkt an Israel und Gaza. Oder an dich und mich. Wie soll das gehen, dass Gott diese Schuld auf sich nimmt?
Jesus sagt an einer Stelle, als die Jünger ähnlich ratlos waren: bei den Menschen ist es unmöglich. Aber bei Gott sind alle Dinge möglich.
Zum Glück …
Und so hoffe und bete ich, dass die Menschen immer wieder ihre Verantwortung erkennen. Und ich ebenso. Und dass wir trotzdem kapieren, dass wir nicht verloren sind. Und es immer wieder einen Neuanfang geben kann. Auch wenn ich mir oft nicht vorstellen kann, wie das gehen wird. Es geht trotzdem. Denn bei Gott sind alle Dinge möglich. Amen