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Predigt: Der Brief an die Gemeinde in Philadelphia

Pastor Markus Bauder gehalten am 01.12.2024 in der Hoffnungskirche und am 08.12.2024 in der Versöhnungskirche
Text/Thema: Off 3, 7-8.10-12a

Der Brief an die Gemeinde in Philadelphia

»Schreib an den Engel der Gemeinde in Philadelphia: ›So spricht der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat.– Was er öffnet, kann niemand wieder schließen. Und was er schließt, kann niemand wieder öffnen. Er lässt euch sagen: Ich kenne deine Taten. Sieh hin, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand wieder schließen kann. Du hast zwar nur wenig Kraft. Aber dennoch hast du an meinem Wort festgehalten und hast meinen Namen nicht verleugnet. (…)

Du hast dich an mein Wort gehalten, standhaft zu bleiben. Deshalb halte ich auch in der Stunde zu dir, wenn alles auf die Probe gestellt wird. Sie wird über die ganze Welt hereinbrechen, um die Bewohner der Erde zu prüfen. Ich komme bald. Halte an dem fest, was du hast, damit dir niemand den Siegeskranz wegnimmt.

Wer siegreich ist und standhaft im Glauben, den werde ich zu einer Säule machen im Tempel meines Gottes.“

Das ist mal eine außergewöhnliche Geschichte. Ein kurzer Brief an eine kleine Gemeinde in der heutigen Türkei. Philadelphia.

Im ersten Jahrhundert nach Christus entstand dort eine christliche Gemeinde. Also sehr früh. Als die Osmanen im 14. Jahrhundert von der Mongolei aus die heutige Türkei so nach und nach eroberten, wurde Philadelphia 1402 als letzte Stadt eingenommen und dem osmanischen Reich einverleibt. Anders als in anderen türkischen Städten wurde die christliche Gemeinde in Philadelphia von den Eroberern nicht zerstört oder vernichtet. Die christliche Gemeinde in Philadelphia aus der Anfangszeit des christlichen Glaubens gab es nachweislich bis Anfang des 20. Jahrhunderts, also rund 1.850 Jahre.

Da sind wir Methodisten noch ein großes Stück davon entfernt. Wir haben vielleicht gerade mal ein Zehntel geschafft 😉

Ich möchte heute nicht sehr ins Detail gehen, was diesen Brief an die Gemeinde in Philadelphia betrifft. Ich möchte ein paar Gedanken herausgreifen von denen ich denke, dass sie für uns heute wichtig sind. Oder sein können …

Es waren in den ersten 2 Jahrhunderten schwierige Zeiten für christliche Gemeinden. Wir tun ja immer so, als wären das damals die Massen gewesen. Das stimmt aber nur sehr punktuell. Die allermeisten christlichen Gemeinden waren klein, hatten nicht viele Menschen und Mitglieder und deshalb auch wenig Kraft, Macht und Einfluss. Sie waren in der Regel auch nicht reich und verfügten über eher wenig finanzielle Mittel.

Der junge christliche Glaube wurde vom Judentum angefeindet. Von Anfang an. Es war ein mühsamer Loslösungsprozess, der mit viel Feindschaft, Streit und Konflikten ausgetragen wurde.

Auch die anderen Religionen und vor allem die politischen Machthaber hießen den christlichen Glauben nicht willkommen. Immer wieder wurden die Gemeinden von allen Seiten angefeindet. Sie eigneten sich auch sehr gut als Sündenbock für alle möglichen Katastrophen und negative Entwicklungen und wurden deshalb immer mal wieder verfolgt. Gesellschaftlich relevant? Eher nicht.

Machen wir uns mal bewusst, was den christlichen Glauben ausmacht und prägte, bevor Kaiser Konstatin 313 das Toleranzedikt erließ und damit die christlichen Gemeinden erstmal in Ruhe gelassen wurden (Ende von Verfolgungen), bevor sie 380 Staatsreligion wurden: eine friedliche Religion, die Liebe predigt. Eine Religion, die eher defensiv und leise unterwegs ist. Die wert legt auf Gemeinschaft und Augenhöhe. Eine Religion, in der Feinde nicht bekämpft, sondern geliebt werden sollen. Eine Religion, die sich der Schwachen annimmt, der Witwen und Waisen, der Kinder und Alten. Ein Glaube, der Gewalt als Mittel der Politik und des gesellschaftlichen Handelns ablehnt.

Und ein Glaube, der gleichzeitig sagt, dass Gott der Herr und König ist. Nicht die örtlichen Machthaber. Gläubige, die sich ihren Idealen und Jesus von Nazareth verpflichtet fühlen und durchaus zivilen Ungehorsam leisteten, wenn ihnen die Anordnungen der Obrigkeit zuwiderliefen. Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Der also trotz aller Friedfertigkeit eine gewisse Rebellion innewohnte. Eine gewisse Aufmüpfigkeit. Die die normalen Spiele der Welt nicht einfach so mitspielte.

Was sollte und soll ein solcher Glaube, eine solche Religion schon ausrichten gegen die Putins und Trumps der damaligen und auch der heutigen Zeit. Gegen Menschen und Organisationen, die kein Problem damit haben, mit alternativen Fakten Staat und Politik zu machen. Die mit Lügen und Täuschungen die Leute für dumm zu verkaufen und zu manipulieren. Die vor allem und in erster Linie ihr Ego und ihre Macht im Blick haben. Die buchstäblich über Leichen gehen. Vor allem, wenn es um Gegner, Andersdenkende und Minderheiten geht.

Und dann vertraten die Christen einen Glauben, der einen Gott der Liebe festhielt, der allen Menschen den Himmel öffnet, vor allem den „Unwürdigen“. Ein Glaube, der von der Vergebung von Schuld redet und von Erlösung. Der die Freundlichkeit Gottes betont, seine Barmherzigkeit und Gnade. Ein Gott, der will, dass allen Menschen geholfen wird. Ein Glaube, der Neuanfänge möglich macht und sogar einem Verbrecher am Kreuz das Paradies anbietet.

Das Christentum war bis zur Konstantinischen Wende eine Nischenreligion und hatte nichts gemein mit Politik, Macht und Geld.

Dass christlicher Glaube „gesellschaftlich relevant“ ist, wie wir gerne betonen, war zu Zeiten der ersten Gemeinden völlig unvorstellbar, geradezu lächerlich.

Eine erste Schlussfolgerung: Könnte es sein, dass der Rückgang des gesellschaftlichen Einflusses des christlichen Glaubens und der Kirchen nicht nur eine negative Entwicklung ist, sondern auch eine Bewegung hin zu dem, was christlicher Glaube von Anfang an war: eine echte Herausforderung für alle Menschen und Gesellschaften. Eine Herausforderung, eine Anfrage, ein lautes Fragezeichen.

Weil im Evangelium die Welt und so wie sie tickt ganz häufig auf den Kopf gestellt wird.

Wir feiern Advent. Das Kommen Jesu in die Welt. Wir lieben es und genießen es. Die Familien freuen sich darauf. Wir freuen uns an den Lichtern, dem Glanz und daran, dass das nun viele Menschen gleichzeitig tun und sogar ganze Städte adventlich geschmückt sind.

Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Im Grunde kommt mit Jesus auch eine große Anfrage in unsere Welt, die uns und vieles, was normal ist, in Frage stellt. Weil unsere Welt eben nicht gut ist.

Natürlich ist unsere Welt nicht nur schlecht, aber tendenziell haben viele Menschen eher wenig Lust, ständig nett und höflich zu sein und ihre Nächsten zu lieben wie sich selbst. Und dann nicht nur die Gleichgesinnten, sondern auch noch Leute, die sie ärgern und mit deren Ansichten oder Lebensweisen sie nichts anfangen können. Und dann soll man auch noch auf eigene Vorteile zugunsten von anderen verzichten und das Klima auf eigene Kosten schonen und bewahren …

Machen wir uns nichts vor – die Zeiten werden härter und die Anfechtungen größer. Wenn die Bösen oder die Falschen Macht gewinnen und Dinge gut finden, die wir als Christinnen und Christen ablehnen, wird es für uns nicht einfacher …

Vielleicht erinnern wir uns dann an Philadelphia, eine Gemeinde in der heutigen Türkei, die für ihr Durchhaltevermögen gelobt wurde. Eine Gemeinde, die viele schwere Zeiten gesehen und erlebt hat. Eine Gemeinde, die trotzdem am Glauben festgehalten hat. Die Durchhaltevermögen hatte und die uns zeigen kann: es ist gut, an der Liebe Gottes festzuhalten. An Jesus Christus, an der Barmherzigkeit und Freundlichkeit, Vergebung und Gerechtigkeit auch wenn viele andere das eher belächeln.

Denn, und das bringt mich zu einem weiteren Gedanken, gleichzeitig übte der christliche Glaube schon von Anfang an eine große Faszination und Anziehungskraft aus, gerade weil er die Welt und so wie sie tickt, häufig auf den Kopf stellt: alle Menschen sind „auf Augenhöhe“ miteinander unterwegs. Jede:r soll genug zum Leben haben. Genug an materiellen Dingen, aber vor allem an Würde, Bildung und Gesundheit. Sünde und Schuld soll vergeben werden, Schulden mitunter einfach erlassen werden. Gnade soll vor Recht gehen. Frei und offen sollen und dürfen wir leben, Christus soll unser Herr sein, ist aber gleichzeitig auch unser Bruder.

Alle Menschen ahnen es und tragen den Gedanken doch irgendwo in sich, dass wir letztlich nicht von Macht und Geld leben, sondern davon, dass wir von Gott geliebte Kinder sind. Dass wir Menschen sind und miteinander und mit Gott unterwegs. Friedlich. Freundlich.

Und das Schönste kommt noch. Am Ende wird es gut…

Das fasziniert mich.

Und es hat schon immer die Menschen fasziniert. Ich bin überzeugt, dass im Grunde ihres Herzens alle Menschen auf eine solche Welt hoffen. Es gut finden würden, in einer solchen Welt zu leben.

Viele stecken eine solche Hoffnung oder Sehnsucht ins Reich der Träume. Oder ins Reich der Utopie. Zu schön um wahr zu sein.

Selbst manche Christinnen und Christen denken bei solchen Ideen nur an den Himmel und nicht an das Hier und Jetzt.

Ich nicht – Ich glaube gegen den Augenschein. Die Hoffnung ins Leben tragen und die Sehnsucht auf eine solche Welt. Daran mitbauen und mitgestalten wo immer ich die Möglichkeit dazu habe. Auch wenn ich nur einer und wir nicht besonders viele sind. Einem solchen Gott, einem solchen Glauben die Treue halten und sich nicht irremachen lassen.

Das haben die Menschen in der Gemeinde in Philadelphia wohl auch getan. Und sie werden in dem Brief in dieser Haltung bestärkt und gelobt.

Das braucht man ja auch ab und zu. Dass mal jemand sagt, dass das gut ist. Und man zum Weitermachen aufgefordert wird.

Über 1.850 Jahre hat es Christen in Philadelphia gegeben. Trotz allem. Trotz allen Anfeindungen und Herausforderungen haben sie am Glauben an Jesus Christus, an der Hoffnung und Sehnsucht auf eine bessere Welt festgehalten und sich nicht irremachen lassen. Und das ist gut.

Und dazu möchte ich auch mich – und euch – ermuntern. Dass wir heute das 20jährige Jubiläum von rejoyce feiern ist für mich so ein Zeichen. Eine Ermunterung dran zu bleiben. Dass Durchhalten nicht schlecht ist. Und dass die Hoffnung immer wieder Früchte trägt und hilft.

In der Adventszeit sind die Menschen sogar offener sind für solche Gedanken. Offener dafür, Geld und Lebensmöglichkeiten mit anderen zu teilen. Wo man sich wenigstens bemüht, mehr Zeit für Freundschaften zu haben oder für den abendlichen Besuch auf dem Weihnachtsmarkt oder die Kirche. Wo man auch sehen kann, dass wir bereit sind, angemessene Preise zu bezahlen. Wo wir handwerkliche Arbeit schätzen. Wo man Wohnungen eher besinnlich schmückt und dekoriert. Wo Familie wieder mehr in den Vordergrund rückt. Und der Glaube an eine höhere Gerechtigkeit und eine irdische, gegenwärtige Welt, die auch schön ist und für die es sich lohnt, sich einzusetzen. Und für den Frieden in dieser Welt.

Der Gedanke an Weihnachten ist ja nicht nur süßlich und mit dem Besorgen von Geschenken verbunden. Es rücken Werte und Ideen in den Blick, die wir von Jesus kennen. Der Sinn für Barmherzigkeit, für Vergebung, für Gerechtigkeit, der Sinn für unsere Mitmenschen, für Freigebigkeit und Offenheit. Für Frieden.

In dieser Zeit, aber auch über diese Zeit hinaus an unserem Glauben festhalten. Er ist gesellschaftlich relevant, auch wenn viele das nicht sehen oder sogar belächeln. Auch dort, wo wir mehr Fragen als Antworten haben.

Daran festhalten. Den Traum festhalten. Die Verheißungen Gottes festhalten. Und da und dort in den Gemeinden entdecken, dass es auch geht und funktioniert. Christlicher Glaube hat eine Zukunft. Das Evangelium lebt. Heute. Und bis in alle Ewigkeit.

Stille

Ich möchte beten …

Gott, du siehst unsere oft kleine Kraft. Kirche ist vielen Menschen in unserem Land nicht mehr so wichtig. Wir wünschen es uns anders. Und wollen trotzdem und gerade deshalb an deinen Verheißungen festhalten. An deiner Liebe, an deiner Freundlichkeit. Wir wollen dieses Evangelium selbst leben und in unsere Umgebung hineintragen. Dich in deinem Bemühen, die Menschen zu erreichen, unterstützen. Hilf uns dabei. Und lass uns nicht verzagen, wenn wir oft eine kleine Schar sind und nur wenige, die sich in einer Gemeinde treffen. Gib uns Mut und Hoffnung, Kraft und Durchhaltevermögen.