Predigt von Pastor Markus Bauder gehalten am 08.01.2023 in der Hoffnungskirche.
Text/Thema: Du siehst mich, Gott (1.Mo 16,13 Jahreslosung 2023)
Die Jahreslosung: Du bist ein Gott, der mich sieht. Oder Du siehst mich, Gott.
Dazu eine Gestaltung von Andreas Kasparek und Susanne Niemeyer. (Postkarte verteilen, anschauen, online zu finden unter editionahoi: https://www.editionahoi.de/schöne-karten-1/jahreslosung/)
Auf den ersten Blick klar: das Auge Gottes, das mich sieht oder anschaut, ist bunt. Und voller Liebe …
Und dazu noch der mehrdeutige Spruch: Ich sehe was, was du nicht siehst, und das ist bunt. Gesagt von Gott
Ich fand und finde die Gestaltung interessant. Sie fällt unter den Vielen, die mit Farbflächen arbeiten, auch ein bisschen auf und sticht heraus… Das gefällt mir. Außergewöhnlich.
Ich möchte die Jahreslosung aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten.
Da ist die Geschichte, in der dieser Satz fällt: Hagar sagt diesen Satz und sie gibt Gott dadurch einen Namen. Dieser Satz ist ein Gottesname: Gott heißt „Gott, der mich sieht.“
Es lohnt sich, die Geschichte im 1. Buch Mose mal selbst zu lesen. Hagar ist die Sklavin von Sara, der Frau Abrahams. Sie ist Ägypterin. Weil Sara keine Kinder bekommen kann, schlägt Sara vor, dass Abraham mit Hagar ein Kind zeugen soll. Etwas, das damals durchaus normal war. Es heißt, wenn Hagar ihr Kind „auf dem Schoß“ von Sara bekommt, dass das Kind dann als legitimer Erbe Abrahams und auch als Tochter von Sara gilt. Hagar ist damit eine Art Leihmutter.
Aber Sara ist eifersüchtig auf Hagar, die schwanger geworden ist. Sie misshandelt Hagar so sehr, dass Hagar keinen anderen Ausweg sieht als zu fliehen. Sie irrt in der Wüste umher, ist am Ende ihrer Kräfte. Eine Sklavin auf der Flucht im fremden Land. Unterste soziale Leiter, wenig Überlebenschancen. Ihre Situation ist verzweifelt.
Da kommt der Bote Gottes, der sie sieht, anspricht und damit rettet. Allerdings schickt er sie zu Sara zurück. Sie soll sich ihr unterordnen. Ihr Sohn wird überleben, Stammvater eines großen Volkes sein, aber er soll keine eigene Heimat haben…
Wie die Geschichte wirklich ausgegangen ist, ist ungewiss. Allerdings gilt Ismael, so heißt Ihr Sohn, als Urvater der Araber und damit der Muslime. Sein Grab und das seiner Mutter soll in Mekka am Rande der Kaaba sein.
Ismael ist im Grunde der Erstgeborene von Abraham. Isaak, der leibliche Sohn von Sara kommt 14 Jahre später zur Welt. Er wird dann zum Stammvater des Volkes Israel. Die Geschichte wird, wie auch die Geschichte von Kain und Abel oder Jakob und Esau als ein Beispiel dafür gesehen, dass Gott oft die Nachgeborenen beruft und nicht die Erstgeborenen.
Die Geschichte hat darüber hinaus ein paar sehr interessante Wendungen.
Hagar ist die erste Frau in der Bibel, die direkt von einem Boten Gottes und damit von Gott selbst angesprochen wird. Sehr außergewöhnlich! Die Fremde, geflüchtete Sklavin wird durch die Anrede Gottes geadelt und wertgeschätzt.
Sie ist auch die erste Frau in der Bibel, die Gott einen Namen gibt, nämlich „Gott, der mich sieht“. Damit gehört sie zu denen, die anderen erklären können, wer oder wie Gott ist. Eine Art Gotteslehrerin. Damit erfährt sie ebenfalls eine Aufwertung.
Und sie ist die erste Frau, der der Segen Gottes ähnlich wie Abraham zugesprochen wird: sie soll die Stammmutter eines großen Volkes werden und sie soll ihrem Sohn einen bestimmten Namen geben „Gott hört“, das bedeutet Ismael. Vergleichbar mit dem Segen, den Abraham erhalten hat.
Hagar und Sara sind die Urmütter der muslimischen und der jüdischen (und damit christlichen) Welt. Muslime, Juden und Christen sind damit Bruder- oder Schwesterreligionen.
Aber, wie diese Geschichte schon sehr interessant zeigt, Halbbrüder oder -schwestern. Daraus ließe sich familienpsychologisch sehr viel ableiten, was das Verhältnis der drei Religionen betrifft… Wer ist der rechtmäßige Erbe, große Konkurrenz liegt in der Luft, der Streit um die wahre Anerkennung…
Aber vielleicht läge darin ja auch ein Weg der Versöhnung…
Entdecken können wir in der Geschichte, dass Gott – wieder einmal – einen Blick für das kleine, unscheinbare hat, für die am Rand, für die Leidenden und die in Not.
Diesmal eine Sklavin, nicht weil sie kinderlos ist – was auch eine große Not ist, sondern gerade, weil sie ein Kind bekommt. Das Kind ihres Herrn. Sie wird zur Nebenbuhlerin der rechtmäßigen Ehefrau. Zu der, die beneidet, misshandelt und gedemütigt wird, gerade weil sie ein Kind bekommt. Leider auch keine glückliche Situation, sondern so schlimm, dass sie fliehen muss.
Gott sieht ihre Not. Gott sieht sie und sie ist damit gerettet.
Das kann und soll für uns Ermutigung sein. Gerade für diejenigen, die sich in einer vergleichbaren Situation wie Hagar sehen: am Ende der Kraft, ohne Heimat, ohne Zuflucht. Verjagt, verstoßen, ausgegrenzt. Ohnmächtig der Macht anderer ausgesetzt. Fremdbestimmt. Einsam, allein, ohne Hilfe – oder was uns sonst noch dazu einfällt. Gott sieht den Einzelnen. Gott sieht dich. Auch wenn du vielleicht denkst, dass das gar nicht sein kann. So unbedeutend wie du bist…
Du bist gesehen. Auch wenn dadurch die Probleme nicht aus der Welt sind. Auch wenn dadurch erstmal noch nichts geklärt ist.
Eine zweite Perspektive, einen zweiten Fokus möchte ich auf das „Sehen“ legen. Angesehen werden, gesehen werden.
Darüber lässt sich trefflich nachdenken: wir können etwas sehen und sehen es doch nicht. Wir können offene Augen haben und sind doch mit Blindheit geschlagen. Sei es, weil wir versuchen, mit unserem blinden Fleck zu sehen. Den haben wir alle – diesen Fleck in unserem Auge, wo der Nerv ins Gehirn rausgeht – da sind keine Sehzellen, da können wir einfach nichts sehen… Solche blinden Flecken gibt es natürlich auch im übertragenen Sinn.
Manchmal sagen wir dann, dass wir etwas nicht sehen wollen, aber ich bin nicht sicher, ob das wirklich zutrifft. Wir können manches einfach nicht sehen. Aufgrund unserer Bildung oder Nichtbildung, aufgrund unserer Herkunft, unseres Geschlechts, unserer Sprache …
Weil das Volk Israel in Jesus Christus nicht den Messias sehen kann, heißt es bei Paulus, dass ihnen die Augen zugehalten werden. Sie sind mit Blindheit geschlagen…
Das kann uns in unserem Leben laufend passieren. Nicht nur, wenn es um Jesus oder Gott geht…
Und dann sieht man manchmal nur den Augenschein, blickt aber nicht dahinter. „Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an“.
Gott sieht, anders als der Mensch, ganzheitlich und objektiv. Anders als wir Menschen sieht Gott immer alles. Er sieht es ganz und gar. Mit allen Facetten.
Ich habe überlegt, ob ich hier sagen möchte, dass Gott dann immer wohlwollend und liebevoll reagiert – aber das kann ich nicht. Gott sieht in der Bibel viel und er reagiert durchaus unterschiedlich.
Auf Bosheit, Ungerechtigkeit, Habgier, Machtmissbrauch und anderes reagiert er nicht nachsichtig und nett.
In unserer Geschichte bedeutet das Sehen Gottes, dass er etwas sieht, was leicht und gerne übersehen wird. „Ich sehe was, was du nicht siehst…
Hagar hatte in der damaligen Welt keine Rechte. Die Mächtigen und auch weniger Mächtigen haben sie einfach nicht beachtet. Im wahrsten Sinn des Wortes übersehen. Wie die Nöte der Wanderarbeiter und ihrer Familien in Dubai. Oder wie die Geflüchteten in ihren Notunterkünften. Oder die alten, alleinlebenden Menschen in großen Wohnblocks. Oder wie Menschen in der Großstadt leicht übersehen werden.
Kennt ihr die Geschichte von Bob, dem Streuner. James lebt auf der Straße und versucht sich, mit Musik über Wasser zu halten. Der Kater Bob schafft es, dass auch James beachtet wird. Gesehen wird… Einen Menschen sehen, heißt, ihn zu beachten, ihn zu grüßen, ihn wahrzunehmen.
Das ist die größte Not vieler Obdachloser oder auch anderer alleinlebender Menschen: dass sie nicht gesehen werden. Nicht beachtet, nicht wahrgenommen…
Gott sieht auch die, die von uns Menschen nicht gesehen werden. Darin steckt natürlich auch eine kleine Aufforderung, seinen Blick zu schulen.
Und dann möchte ich noch auf einen dritten Punkt eingehen, der jetzt nur mit der Karte zu tun hat: Gott sieht bunt. Und er sieht diese Buntheit mit Liebe.
Ich möchte hier ausdrücklich nicht nur den Regenbogen sehen. Also dass Gott auch Menschen mit ganz unterschiedlichen sexuellen Orientierungen sieht. Bunt heißt einfach, dass das Leben eine sehr große Vielfalt beinhaltet und Gott alles sieht. Und liebt.
Das Leben, die Erde Gottes ist bunt. Im wahrsten Sinn des Wortes. Und wir Menschen sind bunt. Es gibt keine zwei gleichen Menschen und es gibt keine zwei gleichen Leben. Selbst in einer ganz normalen Familie wird das Leben mit den Jahren bunt. Bunt an Lebensgeschichten, an Gaben und Fähigkeiten, an Möglichkeiten.
Für uns Menschen gibt es immer wieder Moden und Vorlieben. Mal ist grau in Mode oder orange und grün. Dann wieder lila. Die Modefarbe 2023 ist anscheinend „Viva Magenta“.
Gott hat keine Modefarben. Und er bevorzugt auch keine Lebensgeschichten gegenüber anderen.
Man kann sich fragen, ob unser Leben durch den bunten Blick Gottes bunter wird oder ob der Blick Gottes bunt ist, weil unser Leben bunt ist. Das ist aber eigentlich egal und wieder mal nur die Frage, ob die Henne zuerst da war oder das Ei.
Mir scheint hier wichtig zu sein, dass wir sehen und anerkennen: das Leben ist bunt und der Blick Gottes spiegelt das wieder. Und er liebt es. Dieses bunte Leben und Deine Buntheit.
Worauf hoffen wir 2023? Dass die Schwesterreligionenn Islam, Judentum und Christentum erkennen, dass sie eine gemeinsame Wurzel haben und sie dadurch eventuell da und dort Schritte der Versöhnung gehen können.
Dass Hagar für viele Menschen die Hoffnung bedeutet, dass auch sie sich in ihrer Situation als gesehen und angesehen erleben. Durch Gott. Dass sie darin Würde und Anerkennung sehen und sich aufrichten können. Gott sieht Dich und er liebt dich.
Dass wir einander sehen und achten. Nicht nur diejenigen, die man nicht übersehen kann, weil sie so wichtig, mächtig, laut, bedeutsam und groß sind, sondern gerade diejenigen, die man leicht übersieht und damit oft auch übergeht. Gott sieht sie. Also sollten auch wir unseren Blick schulen.
Und die Buntheit des Lebens sollten wir achten. Und mit den Augen der Liebe darauf schauen. Denn Gott sagt: ich sehe was, was du – oft, vielleicht zu oft – nicht siehst und das ist bunt. Und wir sollten es lieben. Amen