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Predigt: “Gott außer Haus”

Text/Thema: Markus 13,33-37

Heute, am Toten- oder Ewigkeitssonntag beschäftigen wir uns mit dem Tod. Mit dem unausweichlichen Tod. Mit dieser Zumutung.

Mich erschreckt und gruselt dabei weniger mein eigener Tod. Was mir echt den Schweiß auf die Stirn treibt ist die Vorstellung, dass Menschen, die ich liebe sterben könnten. Und ja mit Sicherheit auch sterben werden. Hoffentlich erst nach mir.

Das ist schwer auszuhalten.

Wir versuchen, den Tod fernzuhalten. Dein eigenen auf jeden Fall. Die Furcht vor dem Tod und der Kampf gegen die Vergänglichkeit ist der Ursprung sehr vieler unserer menschlichen Anstrengungen. Ärztliche und medizinische Entwicklungen, Erfindungen und Entdeckungen, Pflege, Fitness, Gesundheitstipps und Bücher, Arztbesuche…

Dass heute 8 Mrd Menschen auf der Erde leben, hängt nicht nur mit vielen geborenen Kindern zusammen, sondern vor allem damit, dass wir immer später sterben. Mit aller Macht den Tod bekämpfen. Und wer wollte uns das verdenken. Niemand will sterben…

Im Kirchlichen Unterricht frage ich die Jugendlichen, wie man denn angesichts des Todes leben soll. Einer hat mal gesagt: leben! Man soll leben. So gut es geht. …

Ihr merkt vielleicht – ich stelle hier nicht die Frage nach dem Ende der Welt. Ehrlich gesagt – das ist für mich auch sehr weit weg.

Der Tod, das Ende unseres irdischen Lebens, das ist für mich sehr viel realistischer, gegenwärtiger. Das findet ja auch täglich statt. Jederzeit.

Der Bibeltext, der meiner Predigt zugrunde liegt, steht im Markusevangelium. Dort sagt Jesus (13,31a.32-37; BasisBibel):

Himmel und Erde werden vergehen; (…). Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

Seht euch vor, wachet! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist. Es ist wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er sollte wachen: So wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen, damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!

Ein Diener kommt ganz aufgeregt zum Sultan gerannt. „Schnell, Sultan, gib mir das schnellste Pferd. Ich bin auf dem Marktplatz dem Tod begegnet. Er hob die Arme als wolle er mich fassen. Ich will nun schnell zu meinem Bruder nach Basra fliehen.“

Der Sultan gibt dem Diener ein schnelles Pferd und geht selbst auf den Marktplatz. Er findet den Tod und spricht mit ihm: „Stimmt es, dass Du heute früh meinen Diener holen wolltest?“ „Nein“, antwortete der Tod, „ich erschrak als ich ihn sah und wunderte mich. Hieß es doch, ich solle ihn morgen holen. Weit entfernt von hier. In Basra.“ —–

Um den Tod kommt man nicht herum. Man kann ihn ignorieren und möglichst weit wegschieben. Aber vermeiden, das geht nicht. Wir alle sterben. Jeder zu seiner Zeit. Unausweichlich. Wie also leben, angesichts dieser Unausweichlichkeit. Das frage ich mich nicht dauernd. Aber heute.

Die Geschichte, die Jesus hier erzählt, hat mit dieser Frage zu tun.

Ein Mensch verlässt sein Haus, um eine Reise anzutreten. Seine Rückkehr ist ungewiss. Er vertraut sein Haus seinen Angestellten an, sie sollen weiter ihrer Arbeit nachgehen wie bisher, denn der Hausherr kann jederzeit wieder nach Hause kommen. Dann will er alles geordnet antreffen.

Der Mensch, der Hausherr in diesem Gleichnis, er ist wie so oft in den Geschichten Jesu, ein Bild für Gott. Gott ist da außer Haus gegangen, ist nach unbekannt hin verreist!

Eigentlich ein erschreckendes Bild! Und doch eines, das man sich vorstellen kann. Gott hat die Welt verlassen. Das würde doch vieles erklären. Hass und Krieg, Leid und Not. So viel Chaos. Gott ist außer Haus!

Man kann sich aber auch vorstellen, dass damit das eigene Lebenshaus gemeint ist. Unser Leben, ein Haus mit vielen Räumen. Kindheit und Jugendzeit, Schule und Ausbildung, Räume, die wir mit anderen Menschen teilen. Partnerschaft. Ehe, Familie. Unser Berufsleben. Viele Räume hat unser Lebenshaus.

Und Gott ist außer Haus gegangen. Hat sich verabschiedet. Irgendwann einmal. Vielleicht deutlich und laut. Vielleicht hat er dein Haus auch leise verlassen. Eines Tages bist du aufgewacht und dann war er weg… Bin auf Reisen. Ich komme wieder. Wann, kann ich dir noch nicht sagen…

Ganz sicher gibt es auch Erlebnisse im Leben, da fühlt man sich nicht nur von aller Welt, sondern sogar von Gott verlassen: Leid, Tod oder Niederlagen, Enttäuschungen … Manches hinterlässt ein Gefühl als sei Gott zur Tür hinausgegangen und verschwunden.

Ich bin allein, ungetröstet, leer… Gott scheint auf Reisen zu sein.

Im Gleichnis gibt es Menschen, denen Gott sein Haus anvertraut hat: Sie sollen die anfallenden Arbeiten erledigen – so sorgfältig als wäre der Hausherr persönlich zugegen. Wachsam sollen sie sein und aufpassen, denn jederzeit kann der Hausherr wieder da sein.

Können wir uns wiederfinden in diesen Angestellten? Dass wir es sind, denen ein Lebenshaus anvertraut ist, das wir sorgfältig pflegen und im Sinne des Hausherrn verwalten sollen?

Unser persönliches Lebenshaus.

Das Haus unserer Umgebung oder auch das unserer Welt.

Wachsam und achtsam. Aufmerksam. Wach. Ich glaube, für mich ist das Wort „wach“ das richtige Wort. Nicht wach-sam, sondern wach.

Wachsam lässt uns immer sofort an bewachen denken. Man muss aufpassen und darf nicht einschlafen.

Es geht aber um wach sein. Um Aufmerksamkeit. Oder „Konzentriert“, oder „aufmerksam“ oder „achtsam“. „behutsam“ mit.

So sollen wir mit unserem Lebenshaus umgehen.

Dieter Hallervorden, manche kennen ihn noch, hat mal in einem Interview zugegeben, eines Tages Haschkekse und Kokain probiert zu haben. Auf die Frage, wie das denn war, antwortete Hallervorden: „Den Tag danach konnte man vergessen.“ Und auf die Frage, ob er so etwas wieder nehmen würde, antwortete er: „Gott bewahre, ich will ja schließlich was mitkriegen von meinem Leben.“

Die Klimaaktivisten der letzten Generation fallen mir ein. Sie ärgern uns und nerven und tun doch genau dies: uns wachrütteln. Sie wollen uns einfach nicht unseren Stiefel weiter machen lassen.

Wach sein und zugewandt. Unsere Sinne sollen geschärft sein, wir sollen mitkriegen, worum es geht und das Lebenshaus im Sinne des Besitzers gut verwalten. Wir sollen uns auf diese Aufgabe konzentrieren, uns nicht ablenken lassen.

Selbst dort, wo wir den Eindruck haben, Gott hätte uns tatsächlich verlassen. Selbst dort sollen wir so leben als wenn er neben uns stünde.

Was das heißen könnte?

Wach sein, heißt vielleicht zu versuchen, die Situationen um uns herum, mit den Augen Gottes oder Jesu zu sehen. Was denken wir, sieht Jesus? Sieht er dasselbe wie ich? Betrachtet er die Welt aus demselben Blickwinkel. Vermutlich nicht. Vielleicht mit mehr Liebe. Oder Barmherzigkeit. Mit mehr Verständnis für die Einzelnen und deren Mühe. Vielleicht manchmal auch mit etwas mehr Schärfe, Härte und Klarheit … Vielleicht findet er ja unser Leben gar nicht so gut wie wir das denken…

Gerade wenns um unsere Aktivitäten rund um die Klimakrise geht. Bei uns passiert ja noch lange nichts. Die Erde brennt und verwüstet an anderen Orten. Und doch gehören wir zu den Hauptverursachern.

Oder der Konflikt arm und reich. Meine soziale Verantwortung?

Eine Perspektive – direkt abgeleitet aus der Jesusgeschichte ist für mich: wie lebe ich, wenn mich keiner sieht oder beobachtet? Wenn ich nicht kontrolliert werde.

Ein Pastor fährt Bus und bekommt beim Bezahlen des Fahrscheins zuviel Rausgeld. Er setzt sich hin und überlegt, ob er wegen dem Euro nochmal zum Busfahrer soll. Er steht auf und tuts: Entschuldigung, sie haben mir zuviel Geld rausgegeben“. „Ich weiß“, sagt der Busfahrer, „Ich war gestern im Gottesdienst bei ihnen und wollte mal sehen, ob Sie sich selbst an das halten, was sie da predigen.“

Das ist es doch, was Jesus sagen will: Du sollst so leben, dass Du jederzeit abtreten und dem Schöpfer des Lebens gegenübertreten könntest.

Nicht jeder hat die Chance und die Zeit, langsam und längerfristig vom Leben Abschied zu nehmen.

Es gibt Menschen, die, wenn sie die Wohnung verlassen, immer aufräumen. Weil sie sagen – ich weiß ja nicht wirklich, ob ich zurückkomme. Manche räumen am Abend immer ihren Arbeitsplatz auf. „Wer weiß schon, ob ich morgen wieder da bin“. Finde ich gar keine schlechte Einstellung.

Mir gelingt das allerdings nicht….

Mit der Rückkehr des Hausherrn in unserer Geschichte ist sicher auch ein globales Ende der Erde gemeint. Aber viel wahrscheinlicher und näher ist das Andere: dass wir Gott begegnen, weil wir gestorben sind.

Letzten Montag (14.11.) konnte man in der Stuttgarter Zeitung lesen, dass Matthias Grohe, Wirt des Malo, in Stuttgart recht bekannt, völlig überraschend kurz nach seinem 60sten Geburtstag, den er noch in seinem Lokal mit vielen Gästen gefeiert hat, gestorben ist.

„Plötzlich und unerwartet…“ „Viel zu früh…“ „aus dem Leben gerissen“

Natürlich wollen wir alle leben. Aber wir wissen nicht, wann unsere Zeit kommt.

Wenn ich mit Gott rechne, heißt das, dass ich das in mein Leben mit einbeziehe. Liebe Gott und liebe deine Nächsten wie dich selbst.

Was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihnen auch. Dass man ehrlich ist, sich an die Regeln hält, anderen nicht schadet, sie nicht verletzt, dass man sich auf mich verlassen kann. Dass ich meinem Herzen und meiner Berufung folge und mich mit dem, was Gott mir anvertraut hat, für das Leben einsetze. Dem Leben überhaupt, dem eigenen und dem Leben der Anderen.

Dass man die Gemeinschaft nicht schädigt oder ausnutzt, sondern solidarisch und tolerant miteinander unterwegs ist.

Dass man teilt und die wichtigen Dinge des Lebens nicht aufspart oder aufschiebt. Die Freundschaft, das besondere Gespräch, die Bitte um Entschuldigung, oder „ich liebe dich“ zu sagen.

Dass man lebt und mit dem Hausbesitzer, mit Gott rechnet.

Und wenn’s doch nicht gelingt? Die Jünger sind im Garten Gethsemane eingeschlafen. 10 Brautjungfern sind in einem anderen Gleichnis Jesu eingeschlafen. 5 von ihnen waren zusätzlich noch schlecht vorbereitet…

Wir werden am Ende nie alles richtig gemacht haben…

Es gibt etliche Texte im Neuen Testament, die uns dann Heulen und Zähneklappern androhen. Aber es gibt auch das andere. Das in meinen Augen mehr Gewicht hat: Einsicht wird belohnt. Das Bekenntnis, etwas nicht geschafft zu haben, wird nicht bestraft. Schuld kann und wird vergeben werden. Christus sagt ja sogar von sich, dass er die Schuld der Welt auf sich genommen hat.

Der wesentliche Kernpunkt christlichen Glaubens: mir ist Erbarmung widerfahren. So heißt es in einem alten Kirchenlied.

Wach und aufmerksam sein. Und mit der „Erbarmung“ rechnen.

Das bedeutet leben angesichts des Todes.

Und diese Hoffnung, diese Gewissheit wünsche ich Euch und Ihnen. Jeden Tag. Alle Tage Deines Lebens. Amen