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Predigt: Mit Gott für das Leben!

Sieglinde Hertler, 12.1.25 in der Hoffnungskirche

Mit Gott für das Leben!

Ich möchte Sie und euch heute mitnehmen auf eine Zeitreise. Wir wandern gedanklich zurück an den  Anfang des 6. Jahrhunderts vor Christus, an einen Wendepunkt nicht nur  in der Geschichte Isarels, sondern auch in den jüdischen Glaubensmustern.

Es ist die Zeit des Propheten Jeremia, der jüdischen Könige Jojakim und Zedekia und die Zeit der Herrschaft der Babylonier unter Nebukadnezzar.

Der größte Teil des Königreichs Davids existiert schon nicht mehr, übrig geblieben ist das kleine Königreich Juda, inzwischen ein Vasallenstaat Babylons. Als der jüdische König Jojakim Nebukadnezzar die Vasallentreue aufkündigt, setzt Nebukadnezzar seine Truppen in Marsch. 598/597 erobert er Jerusalem, deportiert einen großen Teil der Jerusalemer Oberschicht  und siedelt sie in der Nähe von Babylon in einer Stadt namens Tell Abib neu an. In Jerusalem setzt Nebukadnezzar einen neuen Vasallenkönig – nämlich Zedekija – ein, der ihm auch einige Zeit die Treue hält. Bald aber wittert Zedekija eine Chance, sich von der Herrschaft der  Babylonier zu befreien, indem er mit den Ägyptern paktiert, was Nebukadnezzar natürlich nicht ohne militärische Antwort hinnimmt.

Zedekija versucht, erbittert den übermächtigen Babyloniern Widerstand zu leisten, koste es, was es wolle. Durchhalteparolen von sogenannten Heilspropheten sollen den Jerusalemern Hoffnung machen: Mit Allgemeinplätzen wie: „Jerusalem ist uneinnehmbar, der Tempel unzerstörbar, denn hier wohnt Gott. Uns wird kein Unglück treffen, denn Jahwe wird seinen Wohnort schützen!“,  solllen die Jerusalemer motiviert werden, weiter einen aussichtslosenlosen Kampf gegen die babylonische Übermacht zu kämpfen.

Das ruft den Propheten Jeremia auf den Plan. Dieser ermahnt Zedekija eindringlich, seinen zwecklosen Widerstand aufzugeben: Es sind deutliche Worte, die er an Zedekija richtet:

»Dient dem babylonischen König und seinem Volk und beugt euren Nacken unter sein Joch! Dann werdet ihr am Leben bleiben! Oder wollt ihr alle sterben, du und dein Volk? Wollt ihr durch Krieg, Hunger und Seuchen umkommen?

Verlasst euch nicht auf das verlogene Gerede der falschen Propheten: Der Tempel des Herrn ist doch hier! Der Tempel des Herrn wird uns schützen!  (Jeremia 7,3ff)

Ergebt euch, beendet das unnötige Blutvergießen, das Sterben der Menschen, den entsetzlichen Hunger, die Vergewaltigung von Frauen!“

Natürlich versuchen Zedekija und seine Ratgeber Jeremia mundtot zu machen

und ihn als Verräter zu brandmarken. Wie könnte es anderes sein.

Zedekija verlangt von den BewohnerInnen Jerusalems einen unerbittlichen, blutigen Kampf gegen die übermächtigen babylonischen Truppen.

587 erobert Nebukadnezzar schließlich Jerusalem zum zweiten Mal. Er lässt die Befestigungsanlagen schleifen, setzt den Königspalast und den Tempel in Brand und macht damit der Eigenstaatlichkeit Judas endgültig ein Ende!

Die Angehörigen der Oberschicht, die nach der ersten Deportation noch in Juda geblieben waren, lässt er ebenfalls nach Babylon deportieren. Ein 1200 km langer Gewaltmarsch bringt die von Krieg, Hunger, Angst und Verzweiflung erschöpften Menschen nach etlichen Monaten ebenfalls nach Tell Abib, wo die anderen Deportierten schon seit 10 Jahren in relativer Freiheit leben. Sie wurden nicht zu Sklavendiensten gezwungen, sie können sich frei bewegen, Häuser bauen, Gärten anlegen, sich versammeln, Älteste einsetzen,  müssen allerdings verschiedene Dienstleistungen für die Babylonier verrichten.

Eingewöhnen in die fremde Umgebung war den meisten Judäer dennoch unmöglich.

Psalm 137 legt ein ergreifendes Zeugnis von der Trauer und der Verzweiflung dieser Deportierten ab.  Den Anfang dieses Klagelieds kennen wahrscheinlich die meisten:

Wir hören den Anfang des 137. Psalms (Hfa)

Wir saßen an den Flüssen Babylons und weinten, immer wenn wir an Zion dachten.

Unsere Lauten hängten wir an die Zweige der Pappeln, wir hatten aufgehört, auf ihnen zu spielen. Aber die Peiniger, die uns gefangen hielten, wollten Freudengesänge von uns hören.

Höhnisch drängten und forderten sie:  »Singt doch eins von euren Zionsliedern!«

Doch wie hätten wir in diesem fremden Land Lieder singen können, die dem Herrn geweiht sind? O Jerusalem, wenn ich dich jemals vergesse, dann soll meine rechte Hand gelähmt werden! Die Zunge soll mir am Gaumen kleben bleiben, wenn ich nicht mehr an dich denke, wenn du, mein geliebtes Jerusalem, nicht mehr die größte Freude für mich bist!

Dann kommt ein Teil, der mir kaum bekannt war, bevor ich letztes Jahr mit meinem Chor eine Schützvertonung zu diesem Psalm gesungen habe. Dieses Ende hat mich furchtbar erschüttert und viele Fragen aufgeworfen. Der Psalm fährt fort nämlich mit den Worten:

Herr, vergiss es den Edomitern nicht, wie sie jubelten, als Jerusalem in die Hände der Feinde fiel! Damals grölten sie: »Reißt sie nieder, diese Stadt! Zerstört ihre Häuser bis auf die Grundmauern!«

Babylon, auch dich wird man niederreißen und verwüsten! Glücklich ist, wer dir heimzahlt, was du uns angetan hast!

Und der Psalm endet mit einem grauenvollen Wunsch:

„Wohl dem, der deine kleinen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert!“

Und das sollten wir jetzt singen! Einige von uns wollten das nicht singen und jemand schlug vor, den Text zu ändern. Das ging aus unterschiedlichen Gründen natürlich gar nicht. Diese Worte zu singen und dann noch in der martialischen Vertonung von Heinrich Schütz fiel mir wahnsinnig schwer.

Aber je länger ich diese Texte mit mir herumtrug, umso mehr dachte ich:

Es ist im Grunde eine absolut menschliche Reaktion auf widerfahrenes Unrecht mit Vergeltungswünschen zu reagieren, wie man überall in der Weltpolitik und in persönlichen Angelegenheiten beobachten kann.

Wäre es richtig, diese hässliche Realität aus den biblischen Texten zu streichen, nur weil ich sie nicht sehen will?

Oder ist es gar umgekehrt? Ist es vielleicht sogar notwendig, sich mit diesen hässlichen Seiten, mit dieser Möglichkeit der menschlichen Reaktion zu konfrontieren, wenn man sie überwinden will?

Wir entschieden uns, den Text nicht zu verändern, ihm aber den Brief des Jeremia an die Seite zu stellen, den Jeremia an die Verbannten in Jerusalem schrieb und der eine echte Lebensalternative aufzeigt und dessen Botschaft für uns heute überraschend aktuell ist.

Bevor wir Auszüge aus diesem Brief hören, möchte ich mich noch einmal in die Lage der Klagenden aus Psalm 137 versetzen.

Ps 137 zeigt uns Menschen, die völlig verzweifelt sind. Sie haben keine Vorstellung, wie sie ihren Glauben in diesem fremden Land leben sollen. Alles, woran sie ihre Hoffnung gehängt hatten, ist zerstört. Nicht mehr in Jerusalem zu sein bedeutete für sie zugleich, sich von Gott verlassen zu fühlen.

Eine tiefe Resignation und Hoffnungslosigkeit spricht aus diesem Psalm

und es ist die Trauer, die sich am Ende in grausige Rachephantasien verwandelt.

In diese müde Verzagtheit hinein schreibt Jeremia schon sehr bald einen Brief an die Verbannten und dieser Brief enthält überraschende Antworten auf die Resignation, die Trauer und die Rachegedanken der Menschen. Zugleich aber ragt die Botschaft dieses Briefes weit über Jeremias Zeit hinaus in unsere Zeit hinein.

Wir hören Ausschnitte aus Jeremias Brief an die Verbannten in Babylon aus

Jeremia 29,4-14: (Basisbibel)

So spricht der Herr Zebaot, der Gott Israels! Das ist meine Botschaft für alle in der Verbannung, die ich aus Jerusalem nach Babylon weggeführt habe:

5Baut Häuser und lasst euch darin nieder!

Legt Gärten an und esst, was dort wächst!

6Heiratet und zeugt Söhne und Töchter! Verheiratet auch eure Söhne und Töchter,

damit auch sie Kinder bekommen! …

7Seht zu, dass es der fremden Stadt gut geht, in die ich euch verbannt habe!

Betet für sie zum Herrn! Denn geht es ihr gut, wird es auch euch gut gehen.

Und ihr werdet in Frieden leben.

8Denn so spricht der Herr Zebaot, der Gott Israels:

Lasst euch nicht von euren Propheten täuschen!… Hört nicht auf die Träume, die sie für euch träumen! 9Denn was sie euch in meinem Namen weissagen, ist nichts als Lüge. Ich habe sie nicht geschickt. – So lautet der Ausspruch des Herrn.

10So spricht der Herr: Erst wenn 70 Jahre vergangen sind, werde ich mich euch in Babylon wieder zuwenden. Erst dann werde ich meine Verheißung erfüllen und euch an diesen Ort hier zurückbringen. 11Denn ich weiß, was ich mit euch vorhabe. – Ausspruch des Herrn –

Ich habe Pläne des Friedens und nicht des Unheils.

Ich will euch Zukunft und Hoffnung schenken.

12Ihr werdet zu mir rufen. Ihr werdet kommen und zu mir beten, und ich werde euch erhören. 13Ihr werdet mich suchen, und ihr werdet mich finden.

Ja, wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, 14dann lasse ich mich von euch finden.

– Ausspruch des Herrn –

Ich will euch Zukunft und Hoffnung schenken!

Alles schreit nach Rache und Vergeltung und Jeremia spricht von Zukunft und Hoffnung,

ja mehr noch von Zukunft und Hoffnung, die ganz konkret gestaltet werden will.

Gegen das Versinken in Resignation – was durchaus auch eine ganz realistische Gefahr in unserer Gesellschaft ist – und gegen ein sich in irgendwelchen Traumbildern einer illusorischen Vergangenheit Verlieren hat Jeremia ganz handfeste Vorschläge:

„Baut Häuser und lasst euch darin nieder!“

In anderen Worten: heult nicht rum, findet euch ab mit der Realität, wie sie nun einmal ist, akzeptiert die Situation und gestaltet darin euer Leben!

Baut Häuser und wohnt darin! – sitzt nicht auf gepackten Koffern in der illusorischen Hoffnung bald zurückzukehren.

Baut Häuser und wohnt darin! – schafft euch eine Lebensgrundlage! Lebt nicht von dem Blick zurück. Lasst euch auf das Neue ein, auf eine Zukunft, die ihr nicht kennt. Aber gebt der Zukunft eine Chance – gerade auch für die folgenden Generationen.

Heiratet und zeugt Söhne und Töchter!..“

Und das ist schon die erste Botschaft aus diesem Text an uns heute,

gerade auch an die Menschen meiner Generation. Wie viele Menschen meines Alters haben das Gefühl, es wird alles immer schlechter. Wo soll das alles hinführen?

Und dieses Gefühl geben wir an die jüngeren Generationen weiter. Aber das ist unfair den jungen Menschen gegenüber und es stimmt auch nicht, es wird nicht immer alles schlechter!

Leben und Gesellschaft, Demokratie und Frieden waren schon immer gefährdet – nicht erst heute. Unser Leben ist zerbrechlich, das weiß auch Jeremia und gerade deshalb ruft er die nach Babylon Verbannten dazu auf, nicht in der Vergangenheit festzuhängen, sich nicht der Versuchung der Resignation hinzugeben, sondern Häuser zu bauen als Zeichen, dass das Leben weitergeht, wenn auch anders, dass wir Hand anlegen müssen zunächst für unser eigenes Leben, für das Leben unserer Familie und unserer nächsten Mitmenschen.

Kümmert euch um ein gutes Leben für euch im Hier und Jetzt:  seid aktiv, nehmt euer Leben in die Hand! Pflanzt Gärten und esst, was dort wächst!  – vielleicht mit Blick auf weitere Generationen ein Apfelbäumchen, wie Luther rät. 

Heiratet und zeugt Söhne und Töchter!

Also: Gestaltet euer Leben und genießt es auch! Lebt – liebt – hofft! Gerade auch in diesen schwierigen und unsicheren Zeiten. Nur so könnt ihr die Grundlagen für eine gute Zukunft schaffen!

Wie wichtig scheinen mir diese Ratschläge des Jeremia auch für uns heute, wo überall so viel Resignation und Verzagtheit zu spüren ist!

Auch uns schreibt Jeremia: steckt nicht den Kopf in den Sand, lasst euch nicht von der um sich greifenden Verzagtheit herunterziehen und lähmen: im Gegenteil: nehmt die Situation an, wie sie ist, schaut der Realität in die Augen und schaut, wie ihr sie gut und hoffnungsvoll gestalten könnt. Und das beginnt bei uns wie damals bei Jeremia zunächst in unserem ganz privaten Kreis bei Familie und Nachbarschaft.

Hier dürfen wir uns gute Lebensgrundlagen schaffen.

Alle diese Dinge sind im Grunde Zeichen gegen die Resignation und für eine gute Zukunft. Die Exilanten haben sich ja sicher auch schon vor diesem Brief Häuser gebaut, Gärten angelegt, wie und wovon hätten sie sonst leben wollen, aber sie sollen es in einem andern Geist tun. In einem Geist des Vertrauens und der Gelassenheit, denn Gott hat Gedanken des Friedens und nicht des Unheils. Aus diesem Vertrauen heraus  dürfen wir das Jetzt gestalten mit Blick auf eine gute Zukunft gegen alle um sich greifende Zukunftsangst!

Oder wie Willy Brandt es ausdrückte: Der beste Weg die Zukunft vorauszusagen, ist sie zu gestalten.

Jeremia bleibt aber nicht in diesem zunächst recht engen Kreis stehen. Nein, er wagt sich weit vor – in Feindesland: Seht nicht nur zu, dass es euch in eurem kleinen privaten Kreis gut geht! Das ist nur der Anfang!

Nein- Seht zu, dass es der fremden Stadt gut geht, in die der Herr euch verbannt hat!

Also kümmert euch nicht nur um euer Wohlergehen, sondern auch um das Wohlergehen eurer Feinde!

Was für ein Gegensatz zu den Rachephantasien aus Psalm 137!

Jeremia weiß offensichtlich, Hass ist keine gute Lebensgrundlage. Hass zerstört zuallererst den, der hasst!

Darum – und so spricht nicht nur Jeremia, so spricht Gott selbst! –

Lasst euch nicht von bösen Gedanken zerstören, sorgt lieber dafür, dass es auch euren Feinden gut geht, denn dann wird es euch auch gut gehen! Der Wohlstand der feindlichen Stadt wird die Grundlage für euer Wohlergehen sein und die Suche nach dem Guten wird auch eure verwundeten Seelen heilen. Denn die Gedanken, mit denen ihr euch beschäftigt werden eure ganze Lebenshaltung prägen. Darum haltet Ausschau danach, was ihr an Gutem für das Gemeinwesen tun könnt!

Im Grunde ist das eine ganz frühe, ganz praktische Anleitung zur Feindesliebe, wie sie uns Jesus aufträgt und die uns oft so unmachbar erscheint.  Danach zu schauen, was der fremden Stadt gut tut – vielleicht wirtschaftlich, vielleicht nachbarschaftlich, das erscheint machbar und hat zugleich noch erkennbar positive Auswirkungen.

Das Denken kreist nicht mehr um die Differenzierung zwischen Freund und Feind, es geht um das Wohl aller Völker!

Und wie nah sind wir hier wieder bei einem ganz aktuellen Thema unserer Gesellschaft: wie oft sehen wir nur schwarz oder weiß und damit auch gut oder böse. So einfach sind die meisten Probleme aber in der Regel nicht, meist gibt es nicht das eindeutig Gute und Richtige. Darum gefällt mir hier auch Luthers Übersetzung besser: Sucht der Stadt Bestes! Also das Bestmögliche, nicht das absolut Gute und Richtige, das es solange Menschen leben sowieso nicht geben wird.

(Das ist nebenbei bemerkt vielleicht auch ein ganz guter Rat für die nächste Bundestagswahl: Was ist das Beste? Auch hier werden wir ja nicht das eindeutig Gute  und Richtige wählen können!) Suchet der Stadt Bestes!

Suchet! Das Beste muss gesucht werden! Immer wieder und immer wieder neu! Wir können gesellschaftliche Gerechtigkeit und Frieden niemals besitzen! Es sind Leitbilder, die unser Denken und Handeln bestimmen sollen. Wenn es z.B. unser politisches Ziel ist, in Frieden mit allen Menschen zusammenzuleben, dann können wir nicht immer nur auf mehr Waffen setzen, dann muss der Gedanke an ein friedliches Zusammenleben auch unseren Weg dahin bestimmen – davon waren schon Menschen wie M.L. King und Ghandi überzeugt!

Suchet der feindlichen Stadt Bestes! Was für eine Zumutung!

Aber auch: Was für eine Chance!

Wenn wir in unserem Freund-Feind-Denken verhaftet bleiben, sind wir so sehr mit Abwehr und unserer Angst beschäftigt, dass wir meinen, nichts mehr gestalten zu können.

Nein, sagt Jeremia, ihr könnt gestalten, sucht der Stadt Bestes.

Verlasst euer Freund-Feind-Denken! Bleibt bei den Menschen, sucht den Dialog mit allen Menschen!

Ich habe Gedanken des Friedens und der Zukunft für euch, sagt Gott, euren Teil müsst oder dürft ihr aber schon beitragen, indem ihr diesen Frieden und die Zukunft mit Leben füllt:  für euch selbst – für folgende Generationen – für die Gesellschaft und für das friedliche Zusammenleben der Völker!

Das aber braucht einen langen Atem, „denn – so spricht der Herr – erst wenn 70 Jahre vergangen sind, werde ich meine Verheißung erfüllen und euch zurückbringen!“

Das ist eine lange Zeit und heißt im Klartext keineR, der jetzt Lebenden wird nach Jerusalem zurückkehren und realistischerweise werden auch nicht alle zurückkehren. Manche werden bleiben. Das Leben im fremden Land wird das Leben und den Glauben tiefgreifend verändert haben. Es kann sich also keinesfalls eine Wiederherstellung der Vergangenheit handeln. Und es verlangt sehr viel Mut von den Verbannten, sich auf eine unbekannte Zukunft einzulassen, die nicht mehr die ihre sein wird, die diejenigen gestalten werden, die jetzt noch Kinder sind oder noch gar nicht geboren sind!

Und das ist bis heute eine Herausforderung für ältere Menschen, dass ihr Wissen, ihre Erfahrung nicht mehr gefragt scheinen. Und genau dieser Herausforderung sollen sich die Juden stellen, sie sollen nicht am Alten festhängen, sondern gespannt sein, wie sich Leben und Glauben entwickeln werden.

Denn eines ist gewiss : „Ihr werdet zu mir rufen. Ihr werdet kommen und zu mir beten,

und ich werde euch erhören. Ihr werdet mich suchen, und ihr werdet mich finden.

Ja, wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, dann lasse ich mich von euch finden! Ausspruch des Herrn.

Diese Zusage galt den Juden in ihrer Verunsicherung vor zweieinhalbtausend Jahren und sie gilt uns heute noch ganz genauso!

Ich möchte das Gebet an dieser Stelle einleiten mit Worten von Schalom Ben-Chorin, die in unserem Gesangbuch zu finden sind:

Wer Frieden sucht

wird den anderen suchen
wird Zuhören lernen
wird das Vergeben üben
wird das Verdammen aufgeben
wird vorgefasste Meinungen zurücklassen
wird das Wagnis eingehen
wird an die Änderung des Menschen glauben
wird Hoffnung wecken
wird dem anderen entgegenkommen
wird zu seiner eigenen Schuld stehen
wird geduldig dranbleiben
wird selber vom Frieden Gottes leben –
Suchen wir den Frieden?