Zum Inhalt springen

Predigt: „rogate“

Pastor Markus Bauder gehalten am 05.05.2024 in der Hoffnungskirche
Text/Thema: „rogate“ (2. Mose 32,1-14)

„Rogate“ heißt der Sonntag: „Betet“. Wir sollen beten, weil damit in der Bibel große Verheißungen, Versprechen, Zusagen verbunden sind. Gott hört Gebete und erwidert sie. So sagt ein Psalmdichter: „Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.“

Zu diesem Sonntag gehört eine spektakuläre Geschichte, die um das sogenannte „Goldene Kalb“. Sie besteht aus mehreren Teilen. Heute geht es darum, wie es zum Goldenen Kalb kommt und wie Gott und Mose damit umgehen: (2.Mose 32,1-14 (Basisbibel))

Das Volk merkte, dass Mose lange nicht vom Berg herabkam. Es lief zusammen und redete auf Aaron ein: »Auf, mach uns Götter, die uns anführen! Denn wir wissen nicht, was mit diesem Mose geschehen ist, dem Mann, der uns aus Ägypten hierhergeführt hat.« Da befahl ihnen Aaron: »Reißt die goldenen Ringe ab, die eure Frauen, Söhne und Töchter an den Ohren tragen! Dann bringt sie her zu mir!«

Da rissen sich alle die goldenen Ringe von den Ohren und brachten sie Aaron. Der nahm das Gold und bearbeitete es mit dem Meißel und machte ein goldenes Kalb daraus. Da riefen sie: »Das sind deine Götter, Israel! Die haben dich aus dem Land Ägypten geführt.« Als Aaron das sah, baute er davor einen Altar und ordnete an: »Morgen ist ein Fest für den Herrn.« Am nächsten Tag standen sie früh auf und brachten Brandopfer und Schlachtopfer dar. Das Volk setzte sich nieder. Sie aßen und tranken. Dann standen sie auf, um sich zu vergnügen.

Kurze PAUSE

Der Herr redete mit Mose auf dem Berg: »Geh, steig hinab! Denn dein Volk, das du aus Ägypten geführt hast, läuft ins Verderben. Schnell sind sie von dem Weg abgewichen, den ich ihnen gewiesen habe. Sie haben sich ein goldenes Kalb gemacht und es angebetet. Sie haben ihm Opfer dargebracht und gerufen: ›Das sind deine Götter, Israel! Die haben dich aus Ägypten geführt.‹ Ich habe mir dieses Volk angesehen: Es ist ein halsstarriges Volk. Jetzt lass mich! Denn ich bin zornig auf dieses Volk und will es vernichten. Aber dich werde ich zu einem großen Volk machen.« Mose aber beschwichtigte den Herrn, seinen Gott: »Warum, Herr, lässt du dich vom Zorn hinreißen? Es ist doch dein Volk! Du hast es mit großer Kraft und starker Hand aus Ägypten geführt. Warum sollen die Ägypter sagen: ›In böser Absicht hat er sie herausgeführt. Er wollte sie in den Bergen umbringen und vom Erdboden vernichten‹? Ändere doch deinen Beschluss, lass ab vom Zorn! Hab Mitleid und tu deinem Volk nichts Böses an! Erinnere dich an deine Knechte: Abraham, Isaak und Israel. Denn ihnen hast du mit einem Eid zugesichert: Ich will euch so viele Nachkommen geben wie Sterne am Himmel sind. Ihnen will ich das ganze Land geben, das ich euch versprochen habe. Sie sollen es für immer besitzen.« Da hatte der Herr Mitleid mit seinem Volk. Das Böse, das er ihm angedroht hatte, tat er nicht.

Beten heißt, einen Gott anzurufen oder ihm zu begegnen. Ganz allgemein. Aber auch für uns Christen. Wenn wir beten, wenden wir uns mit einem Anliegen an Gott.

Auch in unserer Geschichte geht es, auch wenn wir das vielleicht nicht auf den ersten Blick sehen, ums Beten. Auch im ersten Teil. Dort, wo das Volk Israel ein goldenes Stierbild bekommt.

Aber es bekommt dieses Stierbild, weil es den Kontakt zu Gott verloren hat. Dem Volk Israel gelingt es nicht mehr, Gott zu begegnen. Gott ist weg. Und der Vermittler, Mose auch.

Jetzt merken sie, dass ihnen das fehlt und sie suchen eine neue, eine andere Form, um mit Gott in Kontakt zu kommen. Und beziehen sich dabei auf Erfahrungen der umliegenden Völker. Ein goldenes Bild, das sie sehen können, das kostbar ist, an dem alle ihren Beitrag geleistet haben und um das sie herumtanzen, das sie anbeten können.

Der zweite Teil der Geschichte ist uns auf den ersten Blick geläufiger: Moses Gespräch, seine Auseinandersetzung mit Gott. Verbunden mit einer seltenen Besonderheit: Mose, der nichts falsch gemacht hat, bittet für das Volk, das sich von Gott abgewandt hat. Er wird zum Fürsprecher bei Gott für sein Volk. Er tritt zwischen das Volk und Gott und verhindert mit seinem Einsatz, dass sich Gottes Zorn am Volk Israel austobt.

Wichtig ist mir gleich zu Beginn meiner Predigtgedanken, dass wir mit dieser Geschichte nicht auf andere zu zielen. Nicht die anderen tanzen ums Goldene Kalb. Nicht, die anderen machen etwas falsch. Die Geschichte spielt damals wie heute mitten im Volk. Damals dem Volk Israel, heute mitten unter den Frommen. Unter uns.

Was ist damals passiert? Der lebendige Kontakt zu Gott ist abgerissen. Nicht die anderen machen sich dann ein Gottesbild, um das sie herumtanzen können, sondern wir selbst stehen in der Gefahr, uns ein Gottesbild zu machen. Selbst die frömmsten unter uns.

Und der Kontaktmann Mose ist auch nicht mehr greifbar. Der Pfarrer, der Prediger, die Heilsfigur, das große Vorbild, die Heimatgemeinde. Weg.

Gottes Versprechen, bei uns zu sein, genügte nicht. Sie, wir wollten und wollen oft etwas Handfesteres, Greifbares.

Kennen wir das? Das Gefühl, Gott ist weg. Man schwimmt in seinem Glauben, in seiner Religion, im Leben und bräuchte das, dass Gott einem die Richtung weist, Fragen beantwortet, für Klarheit sorgt.

Zum Beispiel in diesem Changeprozess. In diesem unglaublichen Wandel, wo man sich nicht mehr auskennt und manchmal nicht mehr weiß wo oben oder unten ist. Nicht nur in der Kirche, aber da auch.

Vor ein paar Jahren war Corona. Die Auswirkungen, vor allem unter Kindern und Jugendlichen, sehen wir jetzt so allmählich. Einsamkeit, Alleinsein, sich nicht äußern können.

Und dazu jetzt noch ein Klimawandel, der unsere Erde nachhaltig verändern wird, Kriege und Konflikte, von denen wir eigentlich glaubten, sie wäre nahezu überwunden. Und dann schrumpfen in Europa auch noch die Kirchen. Wir Christen werden zu einer Minderheit. Uns will keiner mehr hören. Nicht mehr relevant fürs Leben. Viele interessiert wirklich nicht mehr, was hinter unseren Kirchenmauern passiert. Sie verstehen wirklich nicht mehr, was wir da machen und wozu das gut sein soll.

Wüste

Und uns selbst geht es mitunter auch nicht anders. Wir merken, dass es so wie früher nicht weitergehen kann und weitergehen wird. Wir verstehen, dass man Gottesdienste anders gestalten muss, selbst ich sitze manchmal da und überlege – das ist also Gottesdienst, was ich hier mache: ein paar Lieder singen, aus der Bibel lesen, eine Predigt hören oder schreiben.

Unser / Mein Gottes-Dienst? Ausdruck meines Glaubens? Zentrum meiner Religion? Meine Lebensmitte?

Ist das, was wir hier machen, Eure Lebensmitte? Der Mittelpunkt in meinem Leben?

Auch uns kann Gott abhanden kommen. Auch uns kann die Vermittlung, der Mittler fehlen.

Gott, wo bist Du denn? Hier nicht und dort auch nur ein bisschen. Wir brauchen mehr. Ein Versprechen reicht uns nicht. Du musst doch sichtbar sein. Ich muss deine Kraft und deine Macht doch sehen können, sie anderen zeigen können. Sie selbst erleben!

Das Goldene Kalb: Seht her – so groß, so mächtig ist unser Gott.

Und dann haben wir Christen Dome und Kathedralen gebaut. Oder schlagen die Bibel auf und suchen, wo es schriftlich steht. „Das steht geschrieben!“. Oder vielleicht auch unser riesengroßes ehrenamtliches Engagement. Unsere Kirchen sind vielleicht nicht besonders groß gebaut. Aber unser Engagement ist riesengroße. Wirklich! Unsere Gemeinden sind gebaut aus dem Besten und Wertvollsten, das wir hatten und haben: unserem Gold, unseren Edelsteinen, unserem Geld und vor allem unserer Zeit und unseren Fähigkeiten.

So stellen wir uns unseren Glauben vor. So muss Glaube sein. Lebendiger Glaube heißt 10% Deines Einkommens und Deiner Zeit. Mindestens. Da ist unsere Kathedrale. Oder vielleicht auch unser Goldenes Kalb.

Eine Festlegung von Gott. Ein Bild, das wir hochhalten und verehren.

Seht, das ist unser Tanz, unsere Verehrung für Gott.

Hoffentlich widersprecht Ihr mir nachher alle ….

Gehe ich zu weit?

Aber anders geht es doch gar nicht. Wir müssen doch irgendeine Vorstellung haben. Wir müssen doch eine Idee, ein Bild haben, das unseren Glaubensvorstellungen entsprechen. Gott ist doch nicht alles. Alles ist nichts. Es braucht doch Festlegungen. Abgrenzungen.

Und jetzt auch noch dieses Neue: Kirche in Begegnung. Gott in der Begegnung. Wie soll das denn zugehen? Des isch doch nix Gescheites mehr. Wir brauchen was Handfestes.

Natürlich: Wir müssen uns Gott vorstellen. Wir müssen unserem Glauben eine Gestalt geben.

Vielleicht ist das die wichtige Warnung aus dieser Geschichte: Achtund, der Weg zum Goldenen Kalb ist kurz. Das steht gleich neben uns. Jede Festlegung, die wir für Gott finden, kann auch zum Götzenbild werden. Jede Abgrenzung, jede Forderung, jedes Opfer…

Und Gott sitzt im Himmel und rauft sich die Haare. Oder wie in unserer Geschichte auf dem Berg.

Das Einzige, das hilft, ist das, was wir im zweiten Teil unserer Geschichte erleben: der Streit, die Auseinandersetzung, das Ringen. Mit Gott. Miteinander.

Das Einzige, das uns tatsächlich vor dem Golden Kalb bewahrt, ist, die Frage offen zu halten: Gott, wer bist Du und was willst Du? Was ist der Weg? Könnte es auch einen anderen geben?

Dass Mose mit Gott spricht, mit ihm ringt, bewahrt ihn vor einer Festlegung, die in die Irre führt.

Der Gott, der das Volk Israel und uns bis zum heutigen Tag in die Freiheit führt, ist der Gott, mit dem Du reden und rechten kannst. Nein, mit dem du reden und rechten musst.

Gott, der sich selbst nur in einer Sache festgelegt hat – in Jesus Christus. Und das ist, wir wissen es, keine Sache, kein Prinzip, kein Dogma, sondern ein Mensch. Mensch und Gott. Die Wahrheit, die uns frei macht, ist Jesus Christus selbst. Eine Person. Und unsere Beziehung zu dieser Person.

Interessanterweise gab es in der hebräischen Sprache lange kein Wort für beten. Gott zu begegnen, war nicht anders als einem Menschen begegnen. Und mit Menschen spricht man, redet man, streitet, bittet, fleht man. Das soll ich mit Gott auch: sprechen, reden, bitten, streiten, flehen. Dafür braucht man kein spezielles Wort.

Der Gott der Bibel ist das große DU für uns Menschen. Gott hört, vergibt, redet, ist zornig, ist dagegen, ist dafür, ist gerecht, liebt, hofft, glaubt. Der Gott der Bibel ist ein Gegenüber. Begegnung. Beziehung. Aber keine geschlossene Dogmatik, keine Glaubenstheorie, kein Ein für alle Mal. Nicht immer ja oder immer nein, sondern immer wieder neu, immer lebendig. Die Beziehung zu Gott ist in dem Moment da, wo ich in Kontakt zu Gott trete. Oder er zu mir. Und zur selben Frage kann es sein, dass Gottes Antwort beim Einen ja ist und beim anderen nein. Oder sogar heute Ja und morgen nein. Je nachdem …

So wie wir es in den Geschichten um Jesus Christus auch erleben. Natürlich zeichnet Jesus ein ganz bestimmtes Bild von Gott. Aber am stärksten ist doch der Eindruck, dass Jesus vor allem den Menschen, die er trifft, begegnet. In der Zuwendung heilt er sie. Vergibt ihnen. Korrigiert ihre Haltungen und weist manche zurecht. Versteht sie. Liebt sie…

Auch er streitet und diskutiert, unterhält sich. Er ist mit seinen Jüngern in einer Art Lebensschule unterwegs, die von der direkten Begegnung mit ihm lebt. ——

Betet! So heißt der heutige Sonntag. Das meint: Wir sollen in einer möglichst lebendigen Beziehung mit Gott im Leben unterwegs sein. Wir sollen uns hüten vor Festlegungen wie einem Goldenen Kalb. Wir haben nicht nur das Recht, sondern fast sogar die Pflicht, alles mit Gott zu besprechen. Unser ganzes Menschsein in diese Beziehung hineinzulegen. So wie wir sind. Mit allen Adjektiven, die uns einfallen: liebevoll, ärgerlich, unvollkommen, nett, freundlich, zornig, gutmütig, ehrlich, müde, spießig, lebendig, schnell, langsam usw., usw.

Darin werden wir Gott begegnen und ihn kennenlernen als einen Gott, der lebendig ist und liebevoll, gutmütig, freundlich, gerecht, verärgert, zornig, gnädig. Nicht dass Gott einfach unsere eigene Stimmung wäre. Er ist Gegenüber. In Jesus Christus ist er nicht beliebig. Gewinnt Kante und Profil, aber ohne deshalb seine Offenheit aufzugeben. Seine himmelweite Offenheit.

So werden wir Gott als den kennenlernen, der uns in die Freiheit führt. Und – so wie beim Volk Israel damals auch – auf lange Sicht auch aus unseren Lebenswüsten herausführt in sein gelobtes Land. Wie immer es aussehen wird.

Wer betet, lebt eine Beziehung zu Gott, die das eigene Leben führt und leitet. Begleitet. Bewahrt. Bis zum ewigen Leben.

Und das wünsche ich Euch. Dazu segne uns Gott. Amen

Schlagwörter: