Gehalten (Datum/Ort): 9.6.24 S-HK (livestream)
Lukas 15,1-3.11-14.16-20.22-32 (BasisBibel)
Alle Zolleinnehmer und andere Leute, die als Sünder galten, kamen zu Jesus, um ihm zuzuhören. Die Pharisäer und Schriftgelehrten ärgerten sich darüber. Sie sagten: »Mit solchen Menschen gibt er sich ab und isst sogar mit ihnen!«
(…)
Da erzählte Jesus ihnen dieses Gleichnis: »Ein Mann hatte zwei Söhne. Der jüngere sagte zum Vater: ›Vater, gib mir meinen Anteil am Erbe!‹ Da teilte der Vater seinen Besitz unter den Söhnen auf.
Ein paar Tage später machte der jüngere Sohn seinen Anteil zu Geld. Dann zog er in ein fernes Land. Dort führte er ein verschwenderisches Leben und verschleuderte sein ganzes Vermögen. Als er alles ausgegeben hatte, brach in dem Land eine große Hungersnot aus. Auch er begann zu hungern.
(…)
Da ging der Sohn in sich und dachte: ›Wie viele Arbeiter hat mein Vater, und sie alle haben mehr als genug Brot. Aber ich komme hier vor Hunger um. Ich will zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden. Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Nimm mich als Arbeiter in deinen Dienst.‹ So machte er sich auf den Weg zu seinem Vater.
Sein Vater sah ihn schon von Weitem kommen und hatte Mitleid mit ihm. Er lief seinem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. (…).
Er befahl seinen Dienern: ›Holt schnell das schönste Gewand aus dem Haus und zieht es ihm an. Steckt ihm einen Ring an den Finger und bringt ihm Sandalen für die Füße. Dann holt das gemästete Kalb her und schlachtet es: Wir wollen essen und feiern! Denn mein Sohn hier war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden.‹
Und sie begannen zu feiern.
Der ältere Sohn war noch auf dem Feld. Als er zurückkam und sich dem Haus näherte, hörte er Musik und Tanz. Er rief einen der Diener zu sich und fragte: ›Was ist denn da los?‹ Der antwortete: ›Dein Bruder ist zurückgekommen! Dein Vater hat das gemästete Kalb schlachten lassen, weil er ihn gesund wiederhat.‹
Da wurde der ältere Sohn zornig. Er wollte nicht ins Haus gehen. Doch sein Vater kam zu ihm heraus und redete ihm gut zu. Aber er sagte zu seinem Vater: ›So viele Jahre arbeite ich jetzt schon für dich! Nie war ich dir ungehorsam. Aber mir hast du noch nie einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden feiern konnte. Aber der da, dein Sohn, hat dein Vermögen mit Huren vergeudet. Jetzt kommt er nach Hause, und du lässt gleich das gemästete Kalb für ihn schlachten.‹
Da sagte der Vater zu ihm: ›Mein lieber Junge, du bist immer bei mir. Und alles, was mir gehört, gehört dir. Aber jetzt mussten wir doch feiern und uns freuen: Denn dein Bruder hier war tot und ist wieder lebendig. Er war verloren und ist wiedergefunden.‹«
Der Predigttext für heute ist ganz kurz. Er lautet „Christus spricht: Ein Mensch hatte zwei Söhne“. Es war die Evangelische Allianz, die das vor einigen Jahren in der Gebetswoche vorgeschlagen hat. Unter der Gesamtüberschrift „Willkommen zuhause“.
„Ein Mensch hatte zwei Söhne“, heute würde man sagen, zwei Kinder.
Wenn es euch ähnlich geht wie mir, dann löst allein dieser Satz schon eine ganze Menge aus. Vorausgesetzt, ihr habt zwei oder mehr Kinder oder wenigstens einen Bruder oder Schwester. Ein Mensch hatte zwei Kinder.
Als unser zweites Kind zur Welt kam, hat sich sehr schnell gezeigt, dass es nicht an den tollen Eltern lag, dass unser erstes Kind ruhig war, nie Schreiattacken hatte und recht schnell durchgeschlafen hat. Denn die zweite tat genau dies, sie hatte Schreiattacken und sehr lange nicht durchgeschlafen. Und wir waren doch dieselben Eltern geblieben. Unsere dritte Tochter war dann nochmal ein ganz anderes Kind. Und unsere 2 Stieftöchter natürlich auch. Nochmal alles ganz anders.
So ist das. Mit den Kindern. Mit den Geschwistern. Völlig unterschiedlich.
Ein Mensch hatte zwei Söhne. Gott, der Vater, hat Kinder. Viele Kinder. Und alle sind sie unterschiedlich. Sehr unterschiedlich.
Alle gehören sie zum Vater, haben die gleiche Heimat. Alle sind sie Söhne und Töchter des einen Vaters. Total unterschiedlich. Und – alle sind sie Sünder. Die einen wie die anderen. Im Gleichnis und im wirklichen Leben. Die Frommen wie die nicht Un- und Andersgläubigen. Die Anständigen und die nicht Anständigen. Die Ausziehenden und die Stubenhocker. Die Charismatiker, Pietisten, Liberalen und die Orthodoxen. Deutsche und Chinesen, Russen und Palästinenser, Israeli und Amerikaner. Kinder des einen Vaters und – Sünder.
„Der Sünder ist die Freude Gottes“ – so beginnt Helmut Gollwitzer seine Auslegung zu diesen Gleichnissen. Er sagt: „Das mag verstehen, wer mag. Die Gottesgelehrten damals verstanden es nicht. Ihr Gott hatte nur an den Gerechten Freude.
Gollwitzer schreibt: das menschliche Verständnis von der Gerechtigkeit Gottes musste erst zerbrechen, bevor der Mensch die wirkliche Gerechtigkeit Gottes erkennen konnte. Sie wurde in Jesu Handeln sichtbar. Indem Jesus mit den Sündern aß und trank, nimmt Gott Menschen in seine Gemeinschaft auf, die vor ihm nicht bestehen können.
Die Gemeinschaft mit Gott und seine Gerechtigkeit greifen nicht erst, wenn der Mensch sich geändert hat, sondern davor.
Alle Menschen sind Kinder Gottes. Sie sind es als Sünder. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, wird ihnen als Sünder zugesprochen. Sie brauchen sie sich nicht zu verdienen.
Helmut Gollwitzer war ein bedeutender Theologe in der Nazizeit. Er gehörte zur bekennenden Kirche. Sein besonderes Thema war: Christen gehören mitten hinein in die Gesellschaft. Ihre Anstrengung gilt dem Reich Gottes in der Gesellschaft. Die Freiheit der Kinder Gottes besteht nicht im Festhalten von Privilegien, sondern im Kampf und Einsatz für die Armen, Benachteiligten und Verfolgten.
Ein Ansatz, der auch für unsere Zeit wichtig ist, meine ich. Für Christen in allen Zeiten.
Ein Mensch hatte zwei Kinder.
Zwei Perspektiven möchte ich aufzeigen: zum einen: wir sind selbst Söhne und Töchter Gottes. Und: die anderen sind es auch.
Wir sind selbst die Söhne und Töchter dieses Gleichnisses. Ob wir nun zu denen gehören, die von zuhause aufgebrochen sind, oder zu denen, die zuhause geblieben sind, das macht letztlich kaum einen Unterschied. Es kann sogar sein, dass wir beides zugleich sind.
Der eine Sohn trennt sich von den Eltern und seinem Bruder. Will mitnehmen und für sich allein beanspruchen, was anscheinend ihm gehört. Doch der Reichtum ist nicht das, was er sich erhofft hat. Es zerrinnt ihm und er verliert seine Freiheit und Eigenständigkeit. Er muss feststellen, dass ihm das Leben ohne sein Zuhause nicht gelingt. Sein Leben vergeht buchstäblich.
So fühlt man sich manchmal. Als ob einem das Leben zwischen den Fingern zerrinnt? Trotz aller Anstrengung und Energie, die man hineinsteckt. In den Beruf, in die Familie, in die eigene Lebensgestaltung, in die Gemeinde. Es wird nicht mehr, sondern weniger. Alle Eigenständigkeit und aller Erfolg sind nur vorübergehend.
Vielleicht reicht es bis zu unserem irdischen Ende, sicher nicht bis in alle Ewigkeit. Bei dem einen Sohn hat es jedenfalls nicht gereicht. Er ist vorher an einem Punkt angekommen, an dem er gemerkt hat: ohne den Vater, ohne Gott, ohne mein zuhause, bin ich nur ein Toter auf Urlaub.
Was ich interessant finde, ist, dass auch der andere Sohn, derjenige, der zuhause geblieben ist, im Grunde ein Fremder im eigenen Haus war. Am Ende merkt man, dass er, obwohl er nicht gegangen ist, trotzdem unverbunden mit dem Vater gelebt hat. Er fühlte sich nicht wie ein echter Teil der Familie. Und obwohl er rechtschaffen war und wohlanständig, hat es auch bei ihm irgendwie nicht gereicht.
Ich denke da an uns Christen. Sie haben alles, was man für ein Leben in Ewigkeit braucht, und haben es doch nicht. Sie sind unzufrieden. Mit den anderen im Hause Gottes. Und mit denen, die vom Zuhause Gottes weggelaufen sind.
Solange diese zuhause gebliebenen Söhne und Töchter Gottes unter sich sind, in ihrer Bubble / Kirche sind sie vielleicht noch zufrieden. Zufrieden, weil sie Gott auf ihrer Seite wähnen. Weil sie denken, dass sie im Gegensatz zu den anderen, alles richtig gemacht haben.
Man stelle sich ihre Überraschung vor, wenn bei Gott auf Erden oder im Himmel Leute auftauchen dürfen, mit denen sie nie und nimmer gerechnet haben. Vielleicht gar Leute, die in ihren Augen Ungläubige, oder noch schlimmer, Andersgläubige, sind. Weil Gott gnädiger und offener ist als wir denken?
Da denkt man, man wäre etwas Besonderes. Man hätte sich durch das, was man entschieden und wie man gelebt hat, einen Vorteil erarbeitet. Ein besonder Stein im Brett Gottes. Und muss feststellen – es ist nicht so.
Manchmal erhoffen wir Christen uns von Gott oder seinem Bodenpersonal eine Sonderbehandlung und besondere Beachtung. Mehr als die Menschen, die keine Christen sind. Wieso kümmert sich Gott, oder der Pastor, nicht um mich? Wieso geht er zu den anderen. Die haben es doch gar nicht verdient.
Und Gott, der Herr sagt, alle sind willkommen. Wir und die anderen. Ein gemeinsames Haus, in dem alle miteinander leben. Und das Bild vom globalen Dorf scheint in diesem Zusammenhang gar nicht so abwegig.
Wir sind Kinder Gottes – und die anderen sind es auch. Mir ist dieser Gedanke wichtig, obwohl ich ihn mitunter auch schwierig finde und nicht immer genau weiß, wie weit man ihn tatsächlich denken kann oder soll…
Gollwitzer sagt, dieses Gleichnis zeigt das Programm Gottes mit der Menschheit. Mit allen Menschen.
Die Schriftgelehrten sehen durch Jesus das Gesetz leichtfertig auf die Seite gerückt und den Unterschied zwischen Gerechten und Sündern durch Jesus gleichgültig gemacht. Dieser Jesus sitzt mit Sündern zusammen und isst mit ihnen. Pflegt die heilige Tischgemeinschaft!
Heute würden wir vielleicht sagen: Abendmahl mit Ungläubigen, vielleicht sogar Andersgläubigen?! –
Paulus schreibt in Römer 3: „Denn es ist kein Unterschied: allesamt sind sie Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.“ Alle sind wir auf die Gnade Gottes, des Vaters aller seiner Kinder angewiesen.
Wenn man so will ist der einzige Unterschied zwischen uns und anderen, dass es die einen schon gemerkt haben und die anderen vielleicht noch nicht. Aber mal ehrlich – ist das das Kriterium für Himmel oder Hölle? Sind es am Ende wir selbst, die verantwortlich sind für die Ewigkeit? Zumindest für unsere eigene Ewigkeit? Oder ist das nicht genau die Hybris vor der wir immer warnen – dass wir Gott spielen und über die Ewigkeit entscheiden.
Das Gleichnis weist uns einen anderen Weg: alle sind Gottes Kinder, aber manche sind noch nicht zuhause. Der Vater wartet sehnlichst darauf, dass sie den Weg finden. Irgendwann.
Wir, die wir uns schon zuhause wähnen, wollen und sollen den Vater in seinem Bestreben nach Kräften unterstützen. Wie sagt Paulus? Ich bin allen alles geworden um wenigstens einige zu gewinnen. Den Juden bin ich ein Jude geworden, den Griechen wie ein Grieche. Ich habe mich mit allem, was mir zur Verfügung steht, bemüht, mich in mein Gegenüber hineinzudenken. Um ihnen den Gott der offenen Türen und Arme zu zeigen…
„Willkommen zuhause“.
Wir schlachten für dich das Mastkalb, wir feiern ein Fest angesichts deines Ankommens bei uns. Der Siegelring, die Schuhe, das besondere Kleidungsstück. All das soll deutlich machen, dass wir nicht unterscheiden zwischen dir und uns. Du sollst uns gleich sein, wir wollen dir gleich sein. Wir stehen dir auf Augenhöhe gegenüber und sitzen mit dir an einem Tisch. Wo du herkommst, spielt keine Rolle. Was du glaubst, spielt nur insofern eine Rolle, dass wir vor Gott alle gleich sind und das für uns alle gilt. Alle Kinder Gottes haben die gleiche Würde, verdienen denselben Respekt und dieselben Möglichkeiten, ihr Leben zu gestalten. Im Haus des Vaters, der unser aller Vater ist.
Willkommen zuhause – Ich würde mir wünschen, dass von uns dieses Signal ausgeht. Ein Signal, das sagt – wir heißen alle Menschen willkommen im Haus Gottes. Wir freuen uns darüber, wenn Menschen mit uns und Gott Gemeinschaft pflegen wollen und wir tun auch alles, damit das möglich wird. In unseren Gemeinden, aber auch in die Gesellschaft hinein. Wir sind keine Menschen, die irgendjemanden ausschließen. Wir freuen uns daran, dass wir gemeinsam mit anderen im Leben unterwegs sind.
Wir versuchen selbst als Söhne und Töchter Gottes mit dem Vater des Lebens verbunden zu bleiben und aus dieser Kraftquelle heraus zu leben. Dazu laden wir selbstverständlich alle ein. Und wir freuen uns über jede und jeden, die diesen Weg mitgeht.
Christus spricht: Ein Mann hatte Kinder. Und alle sind im Hause Gottes sehr herzlich willkommen. Am Tisch des Herrn ist Platz für alle. Amen